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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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besser werden. Worcester sei schön ruhig, sagte er, genau das Richtige, um mich erst mal mit der Bühne vertraut zu machen. Ich kapierte schnell, lernte problemlos meine Einsätze und Stichworte, aber auch so blieben noch alle möglichen Haken und Schwachpunkte, an denen wir zu arbeiten hatten: Die Scheinwerfersequenzen mussten ausgefeilt, die Musik mit den Vorführern koordiniert und das Finale so choreographiert werden, dass ich nicht an die Galerie stieß, die über den halben Orchestergraben hinausragte. Der Meister war mit tausendundeinem Detail beschäftigt. Mit den Bühnenarbeitern prüfte er die Vorhänge, mit dem Beleuchter justierte er die Scheinwerfer, mit den Musikern führte er endlose Gespräche über Musik. Sieben von ihnen heuerte er für eine nicht unbeträchtliche Gage an, die letzten beiden Probentage mit uns zu verbringen, und bis zur allerletzten Minute kritzelte er ihnen Änderungen und Korrekturen in die Partitur, damit ja alles stimmte. Auch ich fand die Arbeit mit diesen Leuten sehr anregend. Es waren ausrangierte Profis, alte Hasen, die angefangen hatten, lange bevor ich geboren worden war, und wenn man alles zusammenzählte, hatten sie mindestens zwanzigtausend Abende in Varietés verbracht und hunderttausend verschiedene Darbietungen begleitet. Sie waren mit allen Wassern gewaschen, und trotzdem, als ich das erste Mal meine Show vor ihnen abzog, brach die Hölle los. Der Schlagzeuger wurde ohnmächtig, der Fagottspieler ließ sein Fagott fallen, der Posaunist war völlig mit den Nerven fertig. Ich sah darin ein gutes Zeichen. Wenn ich diese abgebrühten Zyniker beeindrucken konnte – wie würde ich dann erst vor einem normalen Publikum dastehen?
    Das Hotel lag zwar recht günstig, aber die Nächte in dieser Absteige haben mich fast geschafft. Bei all den Huren, die da die Treppen rauf- und runterstiegen und durch die Flure stöckelten, juckte mir der Schwanz wie ein gebrochener Knochen und ließ mir keine Ruhe. Der Meister und ich schliefen in einem Doppelzimmer, und bevor ich es wagen konnte, mir einen von der Palme zu wetzen, musste ich erst warten, bis ich ihn neben mir schnarchen hörte. Das konnte sich endlos hinziehen. Er redete gern im Dunkeln, erörterte einzelne Punkte der letzten Probe, und anstatt mich mit dem zu befassen, was mir am nächsten lag (nämlich in meiner Hand), musste ich mir höfliche Antworten auf seine Fragen ausdenken. Die Qual steigerte sich mit jeder Minute, bis es kaum noch auszuhalten war. Wenn er dann endlich wegdöste, langte ich nach unten und zog einen meiner schmutzigen Strümpfe aus. Den nahm ich zum Aufwischen in die linke Hand, machte mich mit der rechten an die Arbeit und pumpte die Soße in die zerknäulte Socke. Nach so langem Warten kam es mir buchstäblich im Handumdrehen. Dann ächzte ich ein stilles Dankgebet und versuchte einzuschlafen, aber einmal war damals selten genug für mich. Kaum lachte eine Nutte auf dem Flur, kaum quietschte irgendwo ein Bett, stiegen auch schon alle möglichen schmutzigen Gedanken in mir auf. Und ehe ich mich versah, hatte ich wieder einen Ständer und legte von vorne los.
    Einmal muss ich dabei zu laut gewesen sein. Es war die Nacht vor dem Auftritt in Worcester, und ich wollte gerade mal wieder einen Schuss in die Socke setzen, da wachte unversehens der Meister auf. So ein Schreck aber auch. Als neben mir seine Stimme durchs Dunkel tönte, fühlte ich mich, als sei mir ein Kronleuchter auf den Kopf gefallen.
    «Irgendwelche Probleme, Walt?»
    Meine Hand zuckte weg, als ob dem Ding plötzlich Dornen gewachsen wären. «Probleme?», sagte ich. «Was soll das heißen, Probleme?»
    «Diese Geräusche. Dieses Rascheln und Schaben und Quietschen. Dieser Lärm in deinem Bett.»
    «Mich juckt’s. Mich juckt’s ganz ungeheuer, Meister, ich muss mich kratzen, sonst geht das nicht weg.»
    «Aha, dich juckt’s also. Das Jucken kenne ich, es fängt in den Lenden an und landet auf der Bettdecke. Lass es jetzt gut sein, Junge. Du darfst dich nicht verausgaben, ein erschöpfter Künstler ist ein schlechter Künstler.»
    «Ich bin nicht erschöpft. Ich bin voll auf dem Damm und kann’s kaum erwarten, dass es endlich losgeht.»
    «Jetzt noch vielleicht. Aber die Wichserei fordert ihren Tribut, das wirst du über kurz oder lang zu spüren bekommen. Ich brauche dir nicht zu sagen, was für ein kostbares Ding so ein Schwengel ist. Aber wenn du ihn zu sehr verwöhnst, kann er sich zu einer Dynamitstange entwickeln. Geh sparsam

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