Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
eine objektive Überprüfung aller möglicherweise reparaturbedürftigen Teile.
Die Maserung wies Sprünge auf, das Holz selbst wirkte grau und trocken. Die elfenbeinerne Schaftkappe war stark vergilbt. Der Major öffnete die Basküle und sah, dass der Ladungsraum zwar matt, zum Glück jedoch rostfrei war. Der Lauf schien gerade zu sein, allerdings war eine kleine Ansammlung von Rostflecken darauf zu erkennen, so als wäre er an dieser Stelle von einer schweißnassen Hand umfasst und danach nicht abgewischt worden. Die kunstvolle Verzierung am Lauf, ein von Kakiblüten umrankter Königsadler, war schwarz angelaufen. Der Major rieb mit dem Finger unterhalb der ausgestreckten Adlerfänge, und siehe da – schon wurde das schmucke, senkrecht angebrachte »P«-Monogramm sichtbar, das sein Vater hinzugefügt hatte. Er hoffte, nicht anmaßend zu sein, aber die Tatsache, dass die Maharadschas und ihre Fürstentümer eines Tages vielleicht der Vergessenheit anheimfallen würden, während die Pettigrews immer weiter bestünden, erfüllte ihn mit einer gewissen Befriedigung.
Er öffnete die Gewehrkiste und entnahm ihr die Teile seiner eigenen Flinte, um beide zu vergleichen. Mit gut geöltem Klicken rasteten sie ineinander ein. Als er die beiden Waffen nebeneinanderlegte, verließ ihn einen Augenblick lang alle Zuversicht. Sie sahen überhaupt nicht aus, als gehörten sie zusammen. Sein eigenes, blank poliertes Gewehr wirkte stattlich. Es atmete förmlich dort auf der Steinplatte. Berties Gewehr dagegen wirkte wie eine Skizze, ein mit billigen Materialien ausgeführter, zum Wegwerfen bestimmter Rohentwurf, der helfen sollte, die richtige Form zu finden. Der Major verstaute sein Gewehr und schloss die Kiste. Er würde die beiden Flinten erst wieder miteinander vergleichen, nachdem er die von Bertie in den bestmöglichen Zustand gebracht hatte. Er tätschelte sie wie einen abgemagerten Streuner, den man in einem vereisten Graben gefunden hat.
Als er die Kerze anzündete, um das Öl zu erwärmen, und das Lederetui mit dem Putzzeug aus der Schublade zog, war ihm schon viel heiterer ums Herz. Er musste das Gewehr nur zerlegen und Stück für Stück daran arbeiten, bis es seiner ursprünglichen Gestalt gemäß wiederhergestellt war. Er nahm sich vor, eine Stunde täglich für dieses Projekt einzuplanen, und sofort überkam ihn die innere Ruhe, die man aus einer wohlgestalteten Routine gewinnt.
Als am frühen Nachmittag das Telefon klingelte, setzte seine gute Laune die sonst übliche Vorsicht außer Kraft, die er immer walten ließ, wenn am anderen Ende der Leitung Rogers Stimme ertönte. Nicht einmal, dass die Verbindung noch schlechter war als sonst, störte ihn.
»Du klingst, als würdest du aus einem U-Boot anrufen, Roger«, sagte er kichernd. »Wahrscheinlich haben wieder mal die Eichhörnchen an den Leitungen geknabbert.«
»Es könnte auch daran liegen, dass ich dich auf laut geschaltet habe«, entgegnete Roger. »Mein Chiropraktiker hat mir verboten, das Handy unters Kinn zu klemmen, und mein Friseur meint, Headsets führten zu vermehrter Talgproduktion und verringerten die Anzahl der Haarfollikel.«
»Was?«
»Wann immer es geht, benutze ich deshalb die Freisprecheinrichtung.« Das unverkennbare, durch das Mikrophon verstärkte Papierrascheln erinnerte den Major an die Theateraufführungen in Rogers Grundschule, bei denen die Kinder Gewittergeräusche herstellten, indem sie Zeitungen schüttelten.
»Bist du gerade beschäftigt?«, fragte der Major. »Du kannst gern später noch mal anrufen, wenn du mit dem Papierkram fertig bist.«
»Nein, nein, ich muss da nur eine endgültige Vereinbarung durchsehen – nachprüfen, ob diesmal auch wirklich alle Dezimalpunkte an der richtigen Stelle sitzen«, sagte Roger. »Ich kann gleichzeitig lesen und reden.«
»Wie effizient! Vielleicht sollte ich es mit ein paar Kapiteln aus
Krieg und Frieden
versuchen, während wir uns miteinander unterhalten.«
»Hör zu, Dad, ich wollte dir nur schnell eine aufregende Neuigkeit erzählen. Sandy und ich haben im Internet ein Cottage gefunden, das für uns in Frage kommt.«
»Im Internet? Sei bloß vorsichtig, Roger. Ich höre ständig, dass es da nur Betrug und Pornographie gibt.«
Roger lachte, und der Major überlegte, ob er ihm von dem haarsträubenden Vorkommnis in Zusammenhang mit Hugh Whetstones erster und letzter Verstrickung in das World Wide Web erzählen sollte, gelangte aber zu der Erkenntnis, dass Roger daraufhin
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