Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
fand sie und zündete ein paar an. Dann stellte sie sich an das vordere Fenster und beobachtete die von heftigen Windböen gepeitschte Sintflut. Mrs Murphy sprang auf ihre Schulter. Harry griff nach ihr und nahm die Katze in den Arm. Sie hätschelte sie wie ein Baby, wiegte sie und dachte an Rick Shaws Reaktion auf die Postkarte: »Bedeckt halten.«
Das war leichter gesagt als getan. Der Tod zweier Bürger von Crozet musste irgendwie zu erklären sein. Und sie hatte das Gefühl, das Ende eines zerfaserten Fadens in der Hand zu halten. Wenn sie den Faden Schritt für Schritt zurückverfolgen könnte, würde sie die Lösung finden. Sie wusste auch, dass sie vielleicht mehr finden würde, als ihr lieb war – eine Lösung bedeutete in diesem Fall nicht, dass ihre Neugierde auf positive Weise gestillt werden würde. Geheimnisse waren oft hässlich. Sie war dabei, die Fassaden der Stadt Schicht für Schicht abzuschälen. Das konnte ihr eigenes Leben in Gefahr bringen. Rick hatte ihr das deutlich gesagt. Sie sei ihm eine Hilfe gewesen, und er sei dankbar dafür, aber sie sei kein Profi, deshalb solle sie sich raushalten. Sie fragte sich, ob es ihm neben seiner Besorgnis um sie nicht auch ein bisschen darum ging, sein Gesicht zu wahren. Der Sheriff und seine Leute bewegten sich im Kreis. Das sollten die Bürger lieber nicht wissen. Sie fragte sich, ob Rick, wenn er die Morde aufklärte, befördert werden würde. Vielleicht wollte er allein im Rampenlicht stehen.
Wie auch immer, er tat seine Arbeit, und zu dieser Arbeit gehörte es, die Bürger von Albemarle County zu schützen, und das schloss sie, Harry, ein.
Eine Gestalt tauchte aus dem strömenden Regen auf; ihr Ölzeug flatterte im Wind. Sie steuerte aufs Postamt zu. Harrys Nackenhaare sträubten sich. Mrs Murphy spürte das, sprang herunter und machte einen Buckel.
Die Tür flog auf, und ein völlig durchnässter Bob Berryman stürmte herein. Ein Schwall von Blättern wehte hinter ihm her. Er lehnte sich mit dem Körper gegen die Tür, um sie zu schließen.
»Verdammt!«, brüllte er. »Sogar die Natur ist gegen uns.« Er war offenbar völlig durcheinander.
Gelähmt vor Angst wich Harry am Schalter entlang zurück. Bob folgte ihr. Er tropfte beim Gehen. Auch wenn Harry aus Leibeskräften schrie – bei diesem Wetter würde sie niemand hören.
Tucker huschte unter dem Schalter hervor. »Sie fürchtet sich vor Bob Berryman?«
»Ja.« Mrs Murphy ließ die Augen nicht von Berrymans glänzendem Gesicht.
»Was kann ich für dich tun?«, quiekste Harry.
Bob deutete mit dem Finger über den Schalter. »Gib mir so ’nen Einschreibezettel. Harry, bist du krank? Du siehst so … komisch aus.«
»Tucker, kannst du zur Tür raus, wenn ich sie aufmache?«, fragte Mrs Murphy. »Er hat die Briefe geklaut. Wenn er derjenige ist und auf Harry losgeht, könnten wir ihn angreifen.«
»Ja.« Tucker flitzte zu der Tür, die Harrys Arbeitsbereich vom Kundenraum trennte.
Mrs Murphy streckte sich zu voller Länge und fummelte an dem Türknauf herum. Der hier hatte die richtige Höhe für sie. Wenn sie die Tür öffnete, würde sie Harry einen ihrer besten Tricks verraten, aber Mrs Murphy wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Sie konzentrierte sich bis zum Äußersten und hielt den Türknauf zwischen zwei Pfoten. Mit einer raschen Bewegung drückte sie ihn nach links, und die Tür sprang auf.
»Kluge Katze«, bemerkte Berryman.
»So macht sie das also«, sagte Harry matt.
Tucker kam scheinbar unbefangen herausgezockelt und ließ sich drei Schritte von Berrymans saftigem Fußknöchel entfernt nieder. Mrs Murphy sprang wieder auf den Schalter, um zu beobachten und abzuwarten.
»Der Zettel, Harry.« Berrymans Stimme erfüllte den Raum.
Harry nahm einen Einschreibezettel und füllte ihn bei flackerndem Kerzenlicht aus, während der Regen an das vordere Fenster schlug. Sie zerriss den ersten Zettel und fing einen neuen an.
»Ich mach das schon«, murmelte sie.
Berryman langte hinüber und griff nach ihrer Hand. Sie erstarrte. Tucker bewegte sich vorwärts, und Mrs Murphy schlich an den Rand des Schalters. Berryman beobachtete die Katze und sah zu dem Hund hinunter. Tucker entblößte die Fänge.
»Ruf deinen Hund zurück.«
»Lass zuerst meine Hand los.« Harry nahm sich zusammen.
Er ließ ihre Hand los. Tucker setzte sich, sah jedoch Berryman unentwegt an.
»Hab keine Angst vor mir. Ich hab Maude nicht umgebracht. Das denkst du doch, nicht?«
»Ich -«
»Ich war’s
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