Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
ich vergessen. Es war – äh – hm, ich glaub, er hat’s auch vergessen.«
»Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
»Ich geb’s ihm morgen zurück.«
»Das weiß ich.« Harrys Ton war warm. »Danke, dass du dir für mich Zeit genommen hast. Oh, noch etwas. Das habe ich vergessen, die anderen zu fragen. Wie findest – oder fandest – du Mr Fletchers Idee mit der Filmabteilung?«
»›Heute St. Elizabeth, morgen Hollywood‹, hat er immer gesagt. Die Idee war klasse, aber daraus wird ja wohl jetzt nichts.«
»Danke, Jody.« Harry legte auf, kehrte zum Sofa zurück und machte es sich gemütlich.
Mrs Murphy kroch wieder auf ihren Schoß. »Jetzt bleib aber hier.«
»Zufrieden?«, fragte Fair.
»Nein, aber ich bin auf der richtigen Spur.« Sie legte die Hand auf Mrs Murphys Rücken. »Ich bin überzeugt, die eigentliche Frage ist nicht, wem Roscoe Bonbons anbot, sondern wer ihm einen Bonbon gab. Rick Shaw muss zu demselben Schluss gekommen sein.« Sie kitzelte Murphy am Ohr. »Er sagt aber nichts.«
»Nicht zu dir.«
»Hmm.« Harry ließ ihre Gedanken schweifen. »Jody ist außer sich wegen Sean. Ich nehme an, sie hatten eine Affäre, die mir entgangen ist.«
»In dem Alter blinzelt man einmal, und schon ist man beim nächsten prickelnden Abenteuer.« Er legte die Hände hinter den Kopf und streckte den Oberkörper. Pewter wich nicht vom Fleck. »Alle sind außer sich. Boom Boom wird ganz besonders außer sich sein.« Er atmete aus und wünschte, er hätte den Namen nicht erwähnt. »Es wundert mich, dass du nicht aufgeregter bist.«
»Das bin ich. Zwei Menschen sind tot. Sean leistet ihnen womöglich im Jenseits Gesellschaft, und ich kann nichts rauskriegen. Ich hasse Geheimnisse.«
»Wir bezahlen den Sheriff dafür, dass er unsere schmutzigen Knoten der Leidenschaft, Doppelzüngigkeit und Gier entwirrt.«
»Fair« – Harry lächelte –, »wie poetisch.«
Er lächelte zurück. »Weiter.«
»Boom Boom Craycroft.« Harry wiederholte bloß den Namen von Fairs ehemaliger Geliebter, dann fing sie an zu lachen.
Er lächelte betrübt. »Ein nagelneuer BMW.«
»Sie ist so eine verrückte Nuss. Hübsch, das gebe ich zu.« Sie versetzte Fair einen Seitenhieb: »Ich glaube, ich hätte jede andere außer Boom Boom ertragen.«
»Das ist nicht wahr, Harry, Untreue ist Untreue, und es hätte keine Rolle gespielt, wer die Frau war. Du hättest dich in jedem Fall beschissen gefühlt, und du hättest dasselbe gesagt, was du jetzt über sie sagst. Ich kremple mein ganzes Leben um, mein Innenleben. Äußerlich ist es in Ordnung.« Er machte eine Pause. »Ich möchte mein Leben mit dir verbringen. Hab ich immer gewollt.«
»Weißt du, warum du fremdgegangen bist?«
»Aus Angst.«
»Wovor?«
»Davor, in der Falle zu sitzen. Davor, nicht zu leben. Als wir heirateten, hatte ich mit drei anderen Frauen geschlafen. Ich war ein gehorsamer Sohn. Habe fleißig gelernt. Hab mir nie was zuschulden kommen lassen. Bin aufs College gegangen. Hab Tiermedizin studiert. Hab Examen gemacht und dich geheiratet, das Mädchen von nebenan. Dann wurde ich dreißig und dachte, ich versäum etwas. Hätte ich dich mit dreißig geheiratet, wäre das längst erledigt gewesen.« Seine Stimme wurde sanft. »Hast du nie Angst gehabt, was zu verpassen?«
»Doch, aber dann beobachte ich, wie der Sonnenaufgang die Berge mit Licht überflutet, und ich denke: ›Das Leben ist vollkommen.‹«
»Bist du nicht neugierig auf andere Männer?«
»Welche Männer?«
»Blair Bainbridge.«
»Oh.« Sie ließ sich genüsslich Zeit mit der Antwort und weidete sich an seinem Unbehagen. »Manchmal.«
»Wie neugierig?«
»Du willst nur wissen, ob ich mit jemandem schlafe, und das ist meine Sache. Es geht doch bloß um Sex und Besitz!«
»Es geht um Liebe und Verantwortung. Sex ist ein Teil davon.«
»Eins weiß ich: Es gefällt mir, allein zu leben. Es gefällt mir, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen außer mir selbst. Es gefällt mir, nicht an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnehmen zu müssen, als wären wir an den Hüften zusammengewachsen. Es gefällt mir, keinen Knoten im Bauch zu haben, wenn du erst um zwei Uhr morgens nach Hause kommst.«
»Ich bin Tierarzt.«
Sie hob die Hand. »Mit so vielen Möglichkeiten, Weiber zu bespringen, dass ich sie nicht zählen kann.«
»Das tu ich nicht.« Er nahm ihre Hand. »Unsere Scheidung war so schmerzlich, ich dachte, ich würde sie nicht überleben. Ich wusste, dass ich im
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