Mueller und die Schweinerei
Küchenkunstschauspiel jetzt live von Joachim Scharpf, der sich geschäftig durch die Speisekarte schnetzelt und tranchiert und blanchiert und sauciert und hackt und schält und was es sonst noch so zu tun gibt.
Habe ich ihm heute Morgen zu hart zugesetzt?, fragt sich der Müller.
Die Gaststube mit den dunkelblau-weissen Keramikkacheln ist jetzt recht gut besetzt. Frühe Abendessenzeit. Joachim Scharpf und seine Gehilfen mit den vielsilbigen Namen, in der Küche sind sie sehr beschäftigt. Sichere Bewegungen, grosse Erfahrung, grosse Liebe zum Beruf. Das merkt der Müller. Die Geschäftigkeit wirkt nicht wie Stress, sondern wie Energie. Selbst dass der Müller zu Besuch kommt, unangekündigt, freut den Scharpf, weil hofft, dass schon Spur aufgenommen. Der Müller bewahrt natürlich Pokergesicht. Hält sich an die Grundsätze: a) Unnötige Beunruhigung der Bevölkerung vermeiden; b) Ermittlungsgeheimnisse wegen Kollusionsgefahr unter Deckel halten; c) Nicht ins Schwatzen kommen, da verplemperst du nur die Zeit, und auf einmal hat das Verbrechen einen Vorsprung von mehreren hundert Metern. Das will der Müller nicht, das will auch das Controlling nicht, denn im Rahmen eines Optimierungsprozesses werden zurzeit sämtliche Ermittlungsabläufe unbestechlich objektiven Analysen unterzogen. Jeder Schritt, sofern er auf der Stundenabrechnung erscheint, wird durchleuchtet in puncto Effizienz, Zielführung, Leitbildkongruenz und Kosten – Nutzen. Darum will der Müller die Zeit nicht verplaudern, sondern sich zielführend verhalten. Kurz: Hier sind zwei Profis am Werk: der Müller, Meister der assoziativen Ermittlung, und Scharpf, das Küchenwunder. Wir können nur zuschauen und staunen, was sich da abspielt im Dampfbad der Küche des Restaurants Sumatra an der Josefstrasse im Stadtkreis 5 in der heissen Stadt Zürich.
Nämlich:
Man könnte es in Zeitlupe sehen und käme dennoch mit Schauen und Verstehen nicht nach: Wie Joachim Scharpfs Biowunderhände gleichzeitig all die oben kurz skizzierten und noch viel mehr hoch komplizierten Küchenarbeiten ausführen und währenddessen mit dem Müller spricht, genauer gesagt: seine Fragen beantwortet. Denn wer hier die Fragen stellt, ist klar, nämlich der Müller. Und das muss auch so sein, trotz krankgeschrieben und so weiter. Der Ermittler darf das Heft nie aus der Hand geben, damit der zu Befragende nicht darin lesen kann. Joachim Scharpf ist zwar nicht als Verdächtigter in Verdacht, sondern eher ein Geschädigter mit Haftpflichtproblem – und vielleicht weiterhin gefährdet? Aber wenn du in einem Staat wohnst, sein Gebiet nutzt und seine Infrastruktur und Institutionen beanspruchst, willigst du quasi mit der Geburtsurkunde beziehungsweise Niederlassungsbewilligung ins Kleingedruckte des Gesellschaftsvertrags ein, siehe Rousseau. Also Steuern, Schulpflicht, Wahlberechtigung, ins Militär muss man und der Polizei wahrheitsgetreu alle sachdienlichen Fragen und Hinweise liefern. Und das tut Joachim Scharpf jetzt inmitten der Küche und des Dampfs und dessen Abzugs und des Glücksrauschs beim Schaffen kulinarischer Meisterwerke.
»Einen Dylanologen?«, hören wir ihn fragen.
Er bleibt kurz still, als dächte er nach, und das tut er auch. Er weiss natürlich schon, was ein Dylanologe ist, denken Sie nicht, wir halten deutsche Biowunder und Kochkünstler für hinter dem Mond, und Joachim Scharpf ist Ü-25, also hat er schon von diesem amerikanischen Sänger Robert Dylan gehört.
»Ein Dylanologe mit einer Vorliebe für Safranrezepte?«, wiederholt er, was ihn der Müller gerade gefragt hat, während die Ausdünstung einer seltenen Eschalottensorte ihm und dem Müller die Nasenschleim- und die Netzhaut bekribbelt. Und der Koch ist wirklich überrascht, wie der Müller in so kurzer Zeit auf so etwas gekommen ist, Safran und Dylan, weil nahe liegt das ja nicht. Man könnte es glatt für unvernünftig halten. Oder denken Sie, wenn sich Ihnen ein schwieriges Problem mit Schweinen in den Weg stellt, einfach: »Ach, das muss mit einem Dylanologen zu tun haben, der gerne Gerichte mit Safran isst«?
Und dieser Müller-Scharfsinn verblüfft schon. Oder sagen wir besser: diese Müller-Intuition. Auch wenn das nicht gerade ein männliches Attribut ist. Er besitzt es und lässt es zu. Das hat er nicht zuletzt in seinen Therapiestunden gelernt und geschärft, bei Herrn Borowski. Und die Intuition taugt auch für Ermittlungen. Das merkt der Müller. Eine Methode, die im Polizeilehrbuch weit
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