Muenchen Blues
Totschläger in den Hosenbund zu stecken. Ich war gerüstet und zog los.
Auf der Straße kam mir, angeführt von ein paar Erzieherinnen, eine Gruppe von Kindern mit Kerzen und Lampions entgegen. Heute Abend war Martinsumzug. Wie Tönnchen steckten sie in ihren Thermofutteralen, auf dem Kopf saß, zumeist verrutscht, eine bunte Till-Eulenspiegel-Mütze, wie sie Mütter ihren Kleinen inzwischen so gerne verpassen. Der Gesang war längst in ein ausgelassenes Schreien und Lachen übergegangen, aus dem hin und wieder noch etwas aufblitzte, wie »Laterne, Laterne, Sonne Mond und Sterne«. Ein Nachzügler schleifte seine Laterne am Boden hinter sich her. Sie war ausgegangen. Die Mundwinkel in seinem kältegeröteten Rotznasengesicht hingen ebenso weit nach unten, wie die seines Lampionmondes nach oben gezogen waren. Dieser Knabe brauchte Hilfe.
– Gib mal her.
Er reckte seinen Lampion hoch. Ich friemelte ihm die Kerzenhalterung zurecht, bog die Drähte gerade und zündete die Kerze wieder an. Alles war in Ordnung, nur dass er den Anschluss an seine Gruppe verloren hatte. Ich stieß auf zwei Fingern einen gellenden Pfiff aus, die Erzieherinnen hielten an und drehten sich um.
– Ab die Post, sagte ich. Aber Vorsicht jetzt.
Er trug seinen Mond am Stöckchen vor sich her und vollbrachte das Koordinationswunder, geradeaus zu gehen und dabei unverwandt seine Laterne anzugucken.
38
Ich bezog meinen Posten auf dem Gerüst. Von dort aus hatte ich einen guten Überblick, wer von der anderen Seite den Weg entlangkam. Gegen neun Uhr hörte ich von der Einfahrt her Schritte. In der Dunkelheit war nur eine massige Gestalt auszumachen, doch dann ließ der Bewegungsmelder die beiden Scheinwerfer aufflammen. Es war Traublinger. Er hatte einen Hut tief ins Gesicht gezogen und trug einen weiten Trenchcoat. Erschrocken durch das plötzlich Licht blieb er stehen. Ich musterte ihn genau und konnte keine Waffe in seiner Hand erkennen.
– Die Hände hoch und gerade aus weiter, rief ich ihm zu.
Er gehorchte, nahm die Hände hoch und ging vorsichtig, Schritt für Schritt setzend, weiter. Als er vor mir am Gerüst angekommen war, sprang ich hinunter. Ich landete direkt vor seinen Füßen.
– Gossec. Das hätte ich mir denken können, dass Sie da Ihre schmutzigen Pratzen drin haben.
– Schnauze.
Ich tastete seine Brust- und Seitentaschen ab. Er schien sauber, ich konnte keine Waffe erspüren. Vorsichtshalber beugte ich mich hinunter, um seine Hosenbeine zu überprüfen. Pistole oder Messer ließen sich dort gut verstauen.
Meine Hockstellung war ein großer Fehler. Wie es zuging, war nicht auszumachen, ich konnte es mir später nur zusammenreimen: Er musste in seinen weiten Ärmeln eine Drahtschlinge verborgen gehalten haben, die er mir behände über den Kopf warf und zuzog. Wie einen Hasen in der Falle zerrte er mich nach hinten zum sackverkleideten Gerüst.
Allein die Schmerzen raubten mir fast die Sinne. Es fühlte sich an, als läge mein Hals in einer kreisförmigen Säge, die meine Haut zerschnitt. Zugleich wurde mein Schlund zugedrückt. Alle Luft war abgeschnürt. Ich geriet in helle Panik. Unter dem anhaltenden Druck schien mein Schädel aufzuquellen, wie rasch wachsende Blasen wurden die Augen aus den Höhlen gedrückt. Sie würden meinem Empfinden nach gleich platzen. Ich zappelte in Krämpfen und schlug um mich.
Dann zog Finsternis über mich, als wäre ich als Ertrinkender am Grund eines Sees angelangt. Ganz hinten ging ein grinsender Mondlampion mit Eulenspiegelmütze auf. Auf ihm ritt ein Peterchen. Sein Hals war wie in zwei Daunenwulsten aufgeworfen, dazwischen ein roter Striemen.
– Hey, Gossec, schrie er, dieses scheißschöne Leben ist vorbei.
Dann spürte ich unter dem Seegras im Schlamm des Grundes etwas massiv Hartes, das ich zu fassen bekam. Ein Stein. Mit dem verbliebenen Rest an Kraft und Bewusstsein warf ich ihn hinter mich.
Urplötzlich ließ der Druck nach, ich bekam wieder Luft. Wasserfallartig rauschte das Blut aus meinem Kopf nach unten, die Augen schienen sich wieder in ihre Höhlen zurückzuziehen. Ich hörte ein Krachen wie von splitterndem Holz, später verstand ich, dass es Traublingers Rippen gewesen sein mussten. Er schrie auf.
Benommen rappelte ich mich hoch, taumelte aber hin und her. Durch einen Nebelschleier hindurch sah ich, wie Traublinger zusammengekrümmt am Gerüst lehnte. Ich tastete nach meinem Totschläger, zerrte ihn heraus und schlug in dieRichtung, in der der Kerl stand. Ob
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