München Manhattan #1
Gut, dass er erstmal von Elisa in Beschlag genommen wird. Dann kann sie kurz nachdenken.
Aber über was? Wie sie sich jetzt verhalten soll? Sie weiß es aber im Moment selber nicht. Also bleibt sie einfach stehen, erstarrt wie zu einer Salzsäule.
Ich brauche Zeit, Zeit, Zeit!
Aber die hat sie doch eigentlich gehabt. Fast zwei Wochen. Und nun? Peter umarmt seine Tochter überglücklich und ist im Moment sowieso nur mit ihr beschäftigt. Gut so. So soll es doch auch sein. Aber auch die schönste Vater-Tochter-Umarmung dauert nicht ewig. Nachdem er Elisa mehrfach durch die Luft gewirbelt hat und immer wieder an sich gedrückt hat, setzt er sie auf dem Boden wieder ab und zieht seinen Mantel aus. Elisa ist völlig aufgedreht.
„Mama, Mama, siehst du nicht? Papa ist endlich wieder da! Was stehst du hier noch rum?“
„Ja Mäuschen, das sehe ich doch. Nun lass ihn doch erstmal seinen Mantel ausziehen.“ Kristin schießen bei der Euphorie ihrer Tochter die Tränen in die Augen.
Nein, jetzt bloß nicht heulen. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Kristin, reiß dich zusammen. Sonst kommst du schon wieder rüber wie so ein komplett naiver Vollidiot.
Den Spruch von Susanna hat sich Kristin zu Herzen genommen. So will sie nicht mehr wirken. Nein. Und sie ist auch kein naiver Vollidiot. Auch wenn das alle von ihr denken.
„Ich muss mal nach der Lasagne sehen.“ Kristin ist zwar keine begnadete Köchin, aber ein ordentliches warmes Abendessen, das bekommt sie schon noch hin. Und Lasagne ist der Hit. Sie flüchtet in die Küche und reißt den Backofen auf – und auf einmal steht Peter direkt hinter ihr.
Sie spürt ihn, sie riecht ihn. Und wieder erstarrt sie. Ganz langsam dreht sie sich um. Da steht er. Direkt vor ihr. Sie blickt in sein vertrautes Gesicht. Müde sieht er aus. Irgendwie älter. Hatte er vor zwei Wochen auch schon so graue Schläfen? Hat sie sich das so vorgestellt? Ihre erste Begegnung nach dem ganzen Albtraum. Sie weiß es nicht.
Er öffnet seine Arme und geht einen Schritt auf sie zu. Sie sinkt in seine Umarmung. Sie atmet seinen Geruch ein und schließt die Augen. Alles wird wieder gut.
Und dann – sind sie wieder da: Die Bilder aus dem Zoo. Er in innigster Umarmung mit der anderen Frau. Kristin zuckt zusammen und weicht zurück. Nein, das geht nicht. Sie kann sich nicht in seine Arme fallen lassen. Es ist unmöglich. Er sieht sie traurig an. Soll sie jetzt Mitleid haben?
In ihr steigt Wut hoch. Er ist traurig, weil sie seine Umarmung nicht erwidern kann? Das hätte er sich mal früher überlegen sollen. Sie könnte ihn schlagen, für das was er ihr angetan hat. Sie hebt die Hand und holt aus …
„Mama, ist das Essen fertig? Ich habe einen Bärenhunger“, ruft Elisa.
Und Kristins Bewegung stoppt und sie lässt ihre Hand wieder sinken. „Gleich Elisa, noch fünf Minuten.“
Keine Szene vor dem Kind. Deine arme Tochter musste schon genug mitmachen. Spiel ihr wenigstens die heile Welt vor. Das bist du ihr schuldig.
„Peter, wir können nachher reden. Aber jetzt essen wir erstmal mit Elisa. Machst du eine Flasche Wein auf?“
Schön sachlich bleiben. Peter allerdings ist froh, eine Aufgabe zu haben und macht sich sofort an die Arbeit. Flasche auswählen und öffnen.
Das Essen verläuft dank Elisa entspannt. Am Freitag ist ihre große Ballettaufführung und das beherrschende Thema beim Abendessen. Kristin und Peter sind dankbare Zuhörer und Elisa ist in ihrem Element.
„So Mäuschen, und nun machst du dich bitte bettfertig. Morgen ist Schule und du musst früh aufstehen“, sagt Kristin zu ihrer Tochter nach dem Abendessen.
„Mama, ich kann früh aufstehen, du hast heute verschlafen – nicht ich“, antwortet Elisa.
„Ja, ja Mäuschen – ist schon gut. Nun geh schon.“
Bloß nicht das Thema auf ihren Kater von heute Morgen lenken. Dazu hat Kristin jetzt wirklich keine Lust. Von ihrer sechsjährigen Tochter vorgeführt werden? Nein, danke.
Aber zum Glück ist Elisa mit ihrer kleinen Welt wieder im Reinen, so dass sie, nachdem sie ihre Eltern umarmt hat, freudestrahlend in Richtung Badezimmer tänzelt. Wie eine angehende Ballerina es eben macht.
Und dann sitzen sie da. Vor ihnen die Lasagne. Kristin hat kaum einen Bissen runterbekommen. Peter hat zwei Portionen gegessen. Typisch. Ihm kann gar nichts auf den Magen schlagen.
Warum auch? Es ist doch alles bestens. Die Familie ist wieder da und warmes Essen steht auch wieder auf dem Tisch. In Kristin steigt erneut eine Welle
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