München Manhattan #1
GEHEIMNIS
MÜNCHEN. FREITAG 18 UHR
„Robert …!“
Oh nein. Was macht der denn schon zuhause? Er hat mir doch vorhin am Telefon noch gesagt, er würde heute etwas länger im Büro sein! Mist!
Susanna reißt die zum Garten führende Küchentür auf und fächert die eiskalte Luft hinein. Zum Glück war die ganze Zeit die Abzugshaube auf fünf. Vielleicht riecht er ja die Zigarette nicht. Noch eine Baustelle braucht sie in ihrem Leben im Moment wirklich nicht.
Schnell kippt Susanna ihren Weißwein in den Abfluß und stellt das Glas in die Spülmaschine. Abends um sechs schon am Trinken – das findet er sicher ganz toll! Auf der anderen Seite ist heute Freitag und da kann man sich ja wohl einen Schluck genehmigen. Aber diese Diskussion will sie jetzt gar nicht erst anfangen.
„Robert! So früh habe ich dich nicht erwartet.“
Susanna hat sich in den Türrahmen gestellt. Robert verzieht das Gesicht – er hasst Zigaretten. Dabei hat er ja früher selbst mal geraucht – und auch nicht zu knapp.
Er gibt ihr einen Kuss. Dann scheint es ihn wohl doch nicht so zu ärgern. Wenn er so gut drauf ist, dann ist heute vielleicht der richtige Abend. Der richtige Abend, um ihm bei einem Glas Wein im wahrsten Sinne des Wortes reinen Wein einzuschenken. Sie kann es nicht länger vor ihm geheim halten. Wenn sie nicht bald etwas sagt, wird er es selbst herausfinden.
„Wie bitte?“ Susanna hat nicht zugehört. „Was meinst du? Welche Rechnung?“ Robert wühlt in seiner Aktentasche und hält ihr einen Zettel unter die Nase. Eine Mahnung vom Steuerberater. Wie peinlich.
„Hattest du das schon erledigt? Sonst mache ich es schnell. Die TAN-Nummern sind doch noch in der obersten Schublade deines Schreibtischs, oder nicht? Das ist mir nämlich sehr unangenehm, zumal ich nächste Woche auch noch ein Treffen mit der Kanzlei habe.“
Um Gottes Willen. Robert darf auf keinen Fall den Kontostand sehen. Die Kreditkartenabrechnung ist bestimmt schon abgebucht!
Susanna setzt ein Lächeln auf, von dem sie hofft, dass es nicht so gequält und aufgesetzt wirkt wie sie sich fühlt. Bei ihnen ist es anders als in den meisten Ehen in ihrem Freundeskreis. Sie ist für den ganzen administrativen Kram in der Familie zuständig. Sie bezahlt die Rechnungen, macht die Ablage, kümmert sich ums Konto. Das hatte sich irgendwann so eingespielt.
„Ach, Robert. Ich mach’ das schon. Schau du doch lieber nach den Kindern. Die haben dich in letzter Zeit doch fast nicht gesehen. Sie freuen sich riesig, wenn du sie heute Abend ins Bett bringst. Ich mach’ uns dann noch einen schönen Salat und hole einen Wein aus dem Keller. Wie hört sich das an?“
„Das hört sich gut an. Nur dass du es weißt, ich habe mir die ganze nächste Woche Urlaub genommen, damit wir Zeit haben, unsere Finanzen in Ordnung zu bringen. Wir müssen uns eine Strategie ausdenken. Wir gehen einfach in Ruhe unsere Unterlagen durch und machen uns am Wochenende einen Schlachtplan, OK? Am Montag habe ich einen Termin mit der Bank. Aber mach’ dir keinen Kopf, Schatz. Das wird schon. Ich gehe mich jetzt umziehen und bringe dann die Kinder ins Bett.“
Robert lächelt. Susanna lächelt zurück und geht in den Keller. Sie sucht eine Flasche Wein aus und befüllt noch einmal den Trockner.
Oh je. Das Lächeln wird ihm vergehen, wenn er von den Kreditkartenabrechnungen hört. Vielleicht sollte ich es ihm doch erst morgen sagen.
Zum Glück muss sie heute die Kinder nicht ins Bett bringen. Gerade Freitags findet sie das Geschichten-Vorlesen und gleichzeitig ein lebendes Trampolin sein unendlich anstrengend. Und das alles während man die Matchbox-Autos von den Brio -Bahn-Teilen auseinandersortiert.
Der Trockner läuft. Susanna geht mit der Weinflasche in der Hand die Treppe aus dem Keller ins Wohnzimmer hoch. Auf einmal steht Robert vor ihr. Er sieht aus, als ob er gerade einem Gespenst begegnet wäre.
„Susanna, komm doch mal bitte mit nach oben.“
„Was ist denn? Haben die Kinder etwas kaputt gemacht?“
Aus dem Kinderzimmer hört sie nur das Gemurmel von Anna und Tom. Es hört sich alles normal an.
„Komm einfach mit.“
Susanna geht mit Robert die Treppe rauf. Er macht nicht am Kinderzimmer halt sondern geht weiter die nächste Treppe hoch zu ihrem Schlafzimmer im Dachgeschoß.
Oben im Schlafzimmer angekommen trifft es sie wie ein Schock. Vor sich sieht sie Tüten über Tüten. Das halbe Schlafzimmer ist damit vollgestellt.
Maendler , OFF&CO, T h eresa . , Gucci
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