Muetter ohne Liebe
auch nicht gelingen wird. Trotz der negativen und abweisenden Reaktionen, die Desinteresse und Distanz ausdrücken, versucht das Kind im Erwachsenen, eine enge emotionale Verbindung zur Mutter herzustellen, endlich Wohlwollen, Verständnis, Unterstützung von ihr zu erfahren. Und immer wieder scheitert es daran. Das ungeheilte innere Kind steckt fest in seiner Bedürftigkeit und in seiner Wut und Empörung. Es beharrt auf einem Bild, einer Vision, wie eine «richtige» Mutter sein soll, selbst wenn seine Mutter diesem Bild real nie entsprochen hat und auch wenig Interesse daran hat, es zu tun.
Der erste entscheidende Schritt zur Heilung besteht also darin, sich mit der schmerzlichen Realität, von der Mutter nicht gewünscht und abgelehnt worden zu sein, zu konfrontieren und sie zu akzeptieren, wie auch die Tatsache, dass es unmöglich war und unmöglich bleibt, die erwünschte Liebe von ihr je erhalten zu können. Das schreibt sich natürlich viel leichter hin, als es getan ist, denn es ist kein einfacher Prozess, eine solche Einsicht ohne Verbitterung zu ertragen.
Diese Einsicht ist aber notwendig, denn erst wenn die fehlende Liebe der Mutter akzeptiert und ertragen werden kann, gelingt es auch, Abschied von der «Hoffnungsfalle» zu nehmen, wie es der Psychologe Louis Schützenhöfer nennt. Erst dann kann der Kreislauf von Bemühung und Hoffnung, gefolgt von Zurückweisung und Enttäuschung, durchbrochen werden, wird es möglich, Abstand und Abschied zu nehmen, vielleicht von der realen Mutter, vor allem aber von der unrealistischen Vision der Mutter. Schmerzlich ist auch die Erkenntnis, dass auf die kindlichen Bedürfnisse nie mehr in ihrem ursprünglichen Zusammenhang eingegangen werden kann und dass das Leben einem keine liebevolle Mutter zugeteilt hat. Wenn es aber gelingt, diese Tatsache zu akzeptieren und zu integrieren, ist das innere Kind befreit vom Muster der verzweifelten, aber vergeblichen Suche nach Liebe, Verständnis und Zuneigung an einem Ort, an dem es all dies ganz sicher nicht findet.
Ein guter Boden, auf dem die Überzeugung wachsen kann, wertvoll und liebenswert zu sein, ist die Einsicht, für die mangelnde Liebe nicht verantwortlich und ihrer auch nicht unwürdig (gewesen) zu sein. Der Grund dafür, dass das Kind nicht so geliebt wurde, wie es dies gebraucht hätte, liegt nicht darin, dass es dieser Liebe nicht wert gewesen wäre, sondern in der Unfähigkeit der Mutter, diese Liebe zu geben.
Damit kann eine erwachsene Perspektive eingenommen werden, die über die des bedürftigen Kindes hinausreicht. Ein erwachsener Blick auf die Mutter ermöglicht einen akzeptierenden Blick auf deren Begrenztheit, aber auch um das zu trauern, was niemals möglich war. Er macht es möglich, nicht mehr an einer unerfüllbaren Vision festzuhalten, sondern die Vergangenheit so zu akzeptieren, wie sie war und gleichzeitig dazu zu stehen, dass die Bedürfnisse des (inneren) Kindes berechtigt waren und sind. Die Perspektive des Erwachsenen eröffnet auch einen neuen Blickwinkel auf die Bedeutung negativer Erfahrungen. Hier sei noch einmal auf die psychologische Botschaft unserer Volksmärchen verwiesen. Ein Mangel an Zuwendung kann auch die Entwicklung von Stärke und Unabhängigkeit fördern. Nie sind es im Märchen die verwöhnten Lieblingskinder, die den Schatz oder, psychologisch gesehen, die Vollständigkeit des eigenen Selbst in Gestalt des passenden Prinzen oder der Prinzessin erringen. Es sind stets vernachlässigte, ausgestoßene, vom Leben geprüfte Töchter und Söhne, denen das gelingt. Viele Kinder liebloser Mütter sind erfolgreiche, lebenstüchtige Menschen, die etwas von Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit verstehen und die gelernt haben, auf ihre eigenen Ressourcen zurückzugreifen. Der Blick des Erwachsenen ermöglicht neue Fragestellungen wie: Was hat es für mein Leben bedeutet, dass ich diese Mutter hatte? Wo hat mich diese Erfahrung geschwächt, wo hat sie mich auch gestärkt? Was habe ich in mir entwickelt, was vielleicht nicht gewachsen wäre, wenn meine Erfahrungen anders ausgesehen hätten? Viele Menschen finden so zu einer Stärke in sich, die ihnen vorher nicht bewusst war.
Da ist aber immer noch das bedürftige, ungeheilte innere Kind, das möchte, dass sich endlich jemand fürsorglich und liebevoll um es kümmert. Wenn das verzweifelte Bedürfnis aufgegeben werden kann, Heilung durch die leibliche Mutter zu erfahren oder den Partner oder das eigene Kind, dann bleibt eigentlich
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