Mundtot nodrm
acht Minuten und vierzig Sekunden nach der Ankunft des Mercedes durchs Bild gefahren ist.«
Linkohr ahnte es, sagte aber nichts.
»Einer von Graumann und Hinz.«
103
Lars Konarek war erschöpft. Insgeheim verfluchte er den Entschluss, den Zeitplan durch seinen Ehrgeiz durcheinandergebracht zu haben. Er musste seine Kräfte einteilen – genauso, wie er die Etappen bei seiner Planung eingeteilt hatte. Mit Sicherheit war Boris intelligent genug, sich auf die neue Situation einzustellen. Heute früh waren jedenfalls frische Akkus in der Kassette gelegen, die sie in diesem Fall unter einem Jägersitz deponiert hatten. Konarek allerdings, der die ersten Blasen an den Füßen spürte, war sich unsicher, ob er die verbrauchten Akkus und den Speicherchip mit einigen Videoaufnahmen, die er von sich selbst gedreht hatte, dieser Kassette anvertrauen konnte. Denn ob Boris noch einmal zurückkehren würde, um nach dem Inhalt zu sehen, erschien ihm angesichts des verschobenen Zeitplans mehr als fraglich. Die festgelegten Termine waren gründlich durcheinandergekommen. Konarek hätte sich ob seines falschen Ehrgeizes ohrfeigen können.
Wenn’s nun dumm lief, würde keiner seiner Speicher-Chips bei Boris ankommen – und all seine Mühe, sich selbst bei einem Statement vor der Kamera zu filmen, um tagesaktuell in Fernsehsendern oder bei Youtube im Internet aufzutauchen, war für die Katz’.
Die Videoclips sollten seine Fangemeinde dazu anspornen, mit ihm zu fiebern und sich letztlich davon überzeugen zu lassen, dass sich zielgerichtetes Vorgehen und Anstrengungen immer lohnten. Allein schon deshalb durfte dieses Vorhaben nicht scheitern.
Lars hatte die Kapuze seiner schwarzen Jacke über die Wollmütze gezogen und am Hals mit einem Stück Draht zusammengebunden, das er irgendwo gefunden hatte. Er fror. Die vergangene Nacht bereits war eisig kalt gewesen. Seine Hoffnung, er könne sich mit Tannenreisig ein weiches Lager auf gefrorenem Boden bereiten, war nur teilweise von Erfolg gekrönt. Dass ihm das Holz in die Rippen drückte, hätte er noch verkraften können. Aber das Fichtenreisig, das er zum Zudecken benützte, war kein geeigneter Schutz gegen die Kälte, die sich gnadenlos seiner bemächtigt hatte.
Es war auch nicht einfach gewesen, trinkbares Wasser zu finden. Die meisten Bachläufe bestanden nur aus einer dicken Eisschicht. Langsam plagte ihn auch der Hunger. Zwar kannte er jeden Strauch und jedes Kraut, doch jetzt, Mitte März, bot die Natur nur wenig, was sich zum Essen eignete. Klee hatte er gefunden und sich eine Baumrinde einverleibt. Wäre der Boden nicht gefroren, fänden sich auch Würmer, die er vor den Teilnehmern seiner Wochenend-Survival-Kurse gerne einmal als Delikatesse verspeiste.
Durchhalten, hämmerte es in seinem Gehirn. Natürlich wusste er, dass sein Vorhaben eine reine ›Kopfsache‹ war. Bei den Spezialeinheiten, denen er einst angehört hatte, waren solche Situationen an der Tagesordnung gewesen.
Weitergehen, weitergehen. Schon jetzt, am dritten Tag, fiel es ihm schwer, nicht die Orientierung zu verlieren. Wenn der Himmel trüb und mit einer dichten, hohen Nebelschicht bedeckt war, ließ sich auch der Sonnenstand nicht mehr korrekt ermitteln. Dann gestaltete es sich äußerst schwierig, den richtigen Weg einzuschlagen. Vergangene Nacht war wenigstens noch der Vollmond andeutungsweise hinter der Hochnebeldecke zu sehen gewesen.
Inzwischen hatte Konarek trotz all seiner Fähigkeiten große Schwierigkeiten, beim Umgehen menschlicher Ansiedlungen die Richtung beizubehalten.
Einigermaßen verzagt, schlappte er über einen asphaltierten und vereisten Weg. In diesen einsamen Stunden begannen Zweifel aufzukommen, ob diese Aktion überhaupt von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Genau dies aber war im Hinblick auf Bleibachs Großkundgebung beabsichtigt. Das Eis gefrorener Pfützen knackte unter seinen Schritten. Seine Gedanken verselbstständigten sich und er gab ihnen freien Raum. Das waren jene Momente, in denen er die Seele wandern ließ und wie ein Automat einfach weiterging. Die Ereignisse der vergangenen Wochen zuckten schlaglichtartig durch seinen Kopf. Immer wieder war es Jens Seifrieds Tod, der dabei alles zu überschatten schien. Jens Seifried und Andreas Ollerich, die beide im Sommer vorigen Jahres zu ihm gekommen waren, um Nahkampf-Training zu absolvieren. Viel wusste er von ihnen nicht. Dass Andreas ein Bruder von Bleibachs Manager war, hatte er zwar gleich
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