Mundtot nodrm
»Ist das eine Videokamera?«, fragte er vorsichtig.
»Exakt«, bestätigte der junge Kollege. »Ein Modellhubschrauber, mit dem man Luftaufnahmen machen kann. Oder soll ich lieber sagen: Spionageflüge?«
Häberle hätte am liebsten Linkohrs Lieblingsspruch benutzt, stellte aber stattdessen fest: »Eine Drohne. Das ist eine Drohne.« So etwas war ihm in seiner langjährigen Laufbahn noch nie untergekommen. »Gibt es auch Aufnahmen, die damit gemacht worden sind?«
»Nein, leider nicht. Wir haben die ganze Wohnung einschließlich Keller und Dachboden auf den Kopf gestellt.«
Häberle besah sich den zerlegten Hubschrauber von allen Seiten. »Und eine Fernsteuerung?«
»Auch nicht. Auch kein Ladegerät für die Akkus. Das Ding fliegt nämlich mit Strom.«
»Auch noch Hightech«, meinte Häberle bewundernd. »Dann macht das Ding wohl kaum Lärm.«
»Wir haben aber noch was anderes«, fuhr Linkohr fort und setzte sich, nachdem Häberle auch wieder zu seinem Platz gegangen war. »Noch bis ein Uhr heute früh hat der einzige Computer, der noch im Haus war, über GPS-Navigationspeilung ein Objekt verfolgt – und zwar hier in Göppingen.«
Häberles Interesse stieg. Seine Computerkenntnisse beschränkten sich zwar auf die Bedienung von Windows, doch hatte er sich in den vergangenen 15 Jahren notgedrungen in die virtuelle Welt eingearbeitet. Kein einziger Beruf kam heutzutage mehr ohne Computer aus – und weil sich auch die Ganoven modernster Technologie bedienten, musste die Polizei Schritt halten. Allerdings war dies, wie Häberle immer wieder bemängelt hatte, nur mit sträflicher Verzögerung geschehen, weil der Bürokratismus viel zu schwerfällig war, um auf neue Trends sofort reagieren zu können.
»Und was war das für ein Objekt?«, fragte er ungeduldig.
»Ein Auto. Miriam Treiber hat ein Auto überwacht.«
Häberle grinste. »Hat sie wahrscheinlich gebraucht, um untreuen Ehemännern nachspionieren zu können. Sie soll sich doch darauf spezialisiert haben, heißt es.«
»Wenn ich Ihnen sage, wer der Mann im Auto war, könnte es sich auch um etwas anderes handeln.«
»Nun sagen Sie’s schon«, drängte Häberle.
»Ollerich. Enduro Ollerich.« Linkohr fügte an, um die Brisanz zu verdeutlichen: »Bleibachs Manager.«
109
Boris wusste nicht, was davon zu halten war. Es war früher Samstagabend und er war mit dem Geländewagen noch einmal die beiden letzten Tagesetappen von Konarek abgefahren. Nun parkte er an einem markanten Waldstück, an dem ein Forstweg vorbeiführte, und blickte durch die Windschutzscheibe in die Nacht hinaus.
An keinem einzigen der drei letzten Pflichtpunkte hatte er eine neue Botschaft vorgefunden. Dem Hinweis vom Donnerstagabend, wonach Lars weiter gekommen war als geplant, war nichts mehr gefolgt. Und jetzt war schon Samstagmittag. Alles deutete darauf hin, dass Konarek umdisponiert hatte. Oder es war ihm etwas zugestoßen. Boris fuhr noch einmal alle Meldepunkte ab, an denen er die Kassetten nicht eingesammelt hatte, um Lars, falls er inzwischen dort aufgetaucht sein sollte, eine Gelegenheit zu geben, doch noch eine Information zu hinterlassen. Spätestens nach zwei Tagen ohne Kontakt, so hatten sie vereinbart, musste er die Polizei verständigen. Dies würde bedeuten, dass dieser Fall entweder noch heute Abend oder morgen, am Sonntag, eintreten würde. Damit allerdings fände das spektakuläre Experiment ein vorzeitiges Ende. Und all die aufwendigen Vorbereitungen und Plakataktionen wären umsonst gewesen.
Aber irgendetwas musste er in die Wege leiten, weil auch die Medien, deren Ansprechpartner er war, immer aufdringlicher wurden und nach neuen Videoclips fragten. Er würde diesen Journalisten nicht mehr länger verheimlichen können, dass der Kontakt zu Konarek abgebrochen war. Außerdem fiel ihm der Umgang mit den Reportern ziemlich schwer. Der einzige, den Boris zuvor jemals kennengelernt hatte, war dieser Sander, der allerdings so gar nicht zum Klischee des windigen Zeitungsmannes passte. Ganz im Gegensatz zu jenen, die Konareks Survival-Tour verfolgten. Zwar riefen sie ihn zuverlässig zwei Mal täglich zu bestimmten Zeiten an, aber er käme nie auf die Idee, ihnen all das anzuvertrauen, was er Sander gesagt hatte. Oder war es vielleicht doch falsch gewesen, diese Informationen weiterzugeben? Seit Tagen durchlebte er ein Wechselbad der Gefühle. Er hatte es doch nicht zulassen können, dass etwas Schreckliches passierte. Etwas, von dem niemand ahnen konnte, dass
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