Mundtot nodrm
ungefähr vier Monaten – es war im November – eine Begegnung, die mir erst im Nachhinein so richtig merkwürdig erscheint. Jetzt, nachdem ich heute im Radio gehört habe, dass diese Aktion von Bleibach und diesem Überlebenskünstler Rätsel aufgibt.« Gutwein sprach, als habe er es eilig. »Mich hat eine Dame aufgesucht, vermutlich osteuropäischer Abstammung, wie ich es in Erinnerung habe – und sie gab vor, irgendwelche Sondierungsgespräche für mittelständische Tarifverträge führen zu wollen. Mir kam das gleich ziemlich dubios vor.«
»Und was hat sie wirklich gewollt?«, fragte Linkohr rasch.
»Wir haben mehr über Bleibach gesprochen als über Tarifverträge. Um ehrlich zu sein, ich hatte das Gefühl, sie wollte mich aushorchen – über meine Meinung zu Bleibach.«
»Wie hat denn die Dame geheißen?«
»Malinowska. Joanna Malinowska. Ich hatte mir das in den Terminkalender eingetragen. Liegt gegen sie denn etwas vor?«
Linkohr wich aus. »Schwierig zu sagen. Ist sie denn noch mal in Erscheinung getreten?«
»Ja – und genau darum geht es mir. Ich hatte damals gerade einen Artikel über Bleibach in einer Gewerkschaftspublikation veröffentlicht, was ihr wohl nicht gepasst hat. Ich weiß noch genau, sie hat mich an einem Samstag hier im Büro angerufen – was weiß ich, weshalb sie geahnt hat, dass ich zu dieser Zeit erreichbar sein würde –, um mich zu beschimpfen. Ich hätte einen Hetzartikel geschrieben, hat sie gesagt.« Er unterbrach seinen Redefluss kurz. »Das hätte mich nicht sonderlich beeindruckt. Als Gewerkschafter ist man manchen Anfeindungen aus Unternehmerkreisen ausgesetzt, das ist normal. Aber sie hat dann sinngemäß gesagt – und ich hab das bis heute nicht vergessen –, sie lege mir dringend nahe, keine weitere Hetze zu schüren, damit es nicht auch noch Tote gibt.« Er wiederholte: »Damit es nicht auch noch Tote gibt.«
»Und dann?«, wollte Linkohr wissen.
»Nichts und dann. Ich hab nie mehr von ihr gehört. Aber ich dachte, es könnte Sie vielleicht interessieren. Sie haben ja andere Möglichkeiten, die Dame zu fragen, als ich.«
Linkohr wollte nichts dazu sagen. »Damals hatten Sie der Sache aber keine große Bedeutung beigemessen. Ich meine: Sonst hätten Sie damals schon die Polizei verständigt.«
»So ist es. Wie ich schon sagte, man nimmt in meiner Position nicht alles ernst. Aber jetzt kommt mir die Sache seltsam vor. Man weiß ja nie, in was man da reingezogen werden könnte.«
Linkohr glaubte, aus dieser Bemerkung noch weitaus mehr herauszuhören, als Gutwein tatsächlich gesagt hatte. Deshalb schob er eine Frage nach: »Ist Ihnen der Name Miriam Treiber geläufig?«
Kurze Pause in der Leitung, dann die Gegenfrage: »Ist das eine Rechtsanwältin?«
Linkohr schluckte. »Ja, ist sie. Kennen Sie sie?«
»Nein, nie gehört«, kam es zu Linkohrs Enttäuschung zurück. »Ich dachte nur so – weil ich’s meist mit Rechtsanwälten zu tun hab.« Gutwein schien sich plötzlich bemüßigt zu fühlen, seine Bemerkung zu erklären: »Es gibt in diesem Lande mittlerweile einige ziemlich dubiose Advokaten, die sich darauf spezialisiert haben, Unternehmern dabei zu helfen, unliebsame Mitarbeiter hinauszumobben, insbesondere unkündbare Betriebsräte. Sie überziehen die Betroffenen mit einer Flut von Abmahnungen oder gar Schadensersatzforderungen – bis die Leute zermürbt sind und freiwillig gehen. Nie von dem berühmten Fall eines großen Kabelbetreibers gehört? Ich sag Ihnen, Herr Linkohr, da laufen Sauereien, die können sich Außenstehende nicht vorstellen.«
Linkohr musste an Häberle denken, der sich trefflich über solche Missstände auslassen konnte. Der Jungkriminalist hatte vor seiner Zusammenarbeit mit Häberle noch die Ammenmärchen von der heilen, gesetzlich geregelten Arbeitswelt geglaubt. Doch der erfahrene Ermittler hatte ihm inzwischen so viel über die Realität erzählt, dass er keinen Zweifel mehr an den unseriösen Machenschaften vieler Betriebe hegte. Er erwiderte deshalb in bester Häberle-Manier: »Leider wird immer nur die Spitze des Eisbergs bekannt. Da gebe ich Ihnen recht. Auch wir staunen oft genug, wie sehr man sich in Menschen täuschen kann.« Kaum hatte er es gesagt, wurde ihm bewusst, dass Gutwein diese Bemerkung auch auf sich beziehen könnte. Der Gewerkschafter gab keinen weiteren Kommentar, sondern beendete das Gespräch.
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Bleibach wurde von Tag zu Tag nervöser. Er durfte sich auf keinen Fall von den Geschehnissen
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