Mundtot nodrm
Elektronik, vor allem aber für das, was darauf gespeichert war, interessierte.
Sie warf sich einen Mantel über und verließ mit dem Kuvert das kleine Häuschen, das sie nach der Trennung von ihrem Mann hier, in einem schmucken Wohngebiet in Staig abseits des Illertals, angemietet hatte. Der Ort lag strategisch günstig – zum einen an der A7, die in Nord-Süd-Richtung quer durch die Republik führte, und zum anderen unweit des Elchinger Dreiecks, das die Verknüpfung zur Ost-West-Verbindung bot. Außerdem waren die Flughäfen von München, Stuttgart und Memmingen nicht weit. Sie konnte also jederzeit sehr schnell an den Brennpunkten sein.
Vor dem Haus umgab sie die feucht-kalte Luft einer unfreundlichen Novembernacht. Das waren so Momente, in denen sie sich eine Garage wünschte. Ihr schwarzer Mercedes der S-Klasse stand stattdessen nur unter einem angebauten Carport. Doch die Klimaanlage sorgte rasch für eine behagliche Wärme, während der Wagen nahezu unhörbar durch das nächtliche Wohngebiet rollte. Das Ziel, das sie ansteuerte, war ihr hinlänglich bekannt. Sie folgte der Straße nach Oberkirchberg, querte dort die Iller, um in Senden die autobahnähnliche B28 zum Hittistetter Dreieck zu nehmen. Der Nieselregen verstärkte sich, die Sichtverhältnisse wurden schlechter. Als sie die A7 erreicht hatte, bog sie in Richtung Norden ein und scherte, stark beschleunigend, sofort auf die Überholspur aus. Die PS-starke Limousine zog spielend an der endlosen Kolonne kriechender Lastwagen vorbei. Miriam genoss dieses Fahrgefühl und ging, berieselt von sanfter Radiomusik des Senders Bayern 1, in Gedanken wieder einmal ihre Aufgabe durch. Seit sie ihren Rechtsanwaltjob nur noch gelegentlich wahrnahm und sich – wie sie es oftmals zu sagen pflegte – auf ›Spezialrecherchen‹ beschränkte, hatte sie schon die verrücktesten Dinge erlebt, vor allem auch, wenn es darum ging, Ermittlungsergebnisse unauffällig und für niemanden nachvollziehbar dem Auftraggeber zukommen zu lassen. Oder auch die bisweilen fürstlichen Erfolgshonorare bar entgegenzunehmen. Diese Art der Bezahlung diente ohnehin beiden Seiten: Dem Auftraggeber, bei dem es keine Abbuchungen gab, die Spuren hinterließen, und ihr, weil die Einnahme auf diese Weise vor dem Zugriff des Finanzamts sicher war.
Es hatte allerdings auch schon Fälle gegeben, bei denen ihr die Übergabeorte nicht gerade geheuer erschienen waren. Da bot eine Raststätte an der Autobahn wesentlich mehr Sicherheit, dachte sie, als sie am Elchinger Dreieck auf die A8 Richtung München abbog. Noch fünf Minuten bis zum vereinbarten Termin. Sie würde rechtzeitig auf dem Parkplatz des Rasthauses Leipheim ankommen, das ihr für solche Treffen besonders sympathisch war.
Sie setzte den Blinker, verlangsamte das Tempo beim Einfahren in das Rasthaus-Areal und ließ die Tankstelle und den hell erleuchteten Burger-King an sich vorbeiziehen. Dann steuerte sie den Mercedes mit dem Ulmer Kennzeichen bis zum Ende der Abstellflächen. Im Kegel ihres Scheinwerfers und der Straßenlampen versuchte sie, die Seitenaufschriften der Lastwagen zu entziffern oder die Firmenlogos zu erkennen. Nichts davon war ihr vertraut. Während der Wagen vor einer Parklücke langsam zum Stillstand kam, sah sie auf die Uhr. Eine Minute zu früh.
Sie rangierte das Auto vollends an die Bordsteinkante, die den Asphalt von einer Grünfläche trennte, stellte den Motor ab und sah in den linken Außenspiegel, um herannahende Fahrzeuge schon von Weitem zu bemerken. Doch da waren keine Scheinwerfer. Nur drüben auf der Autobahn zogen die Lichter der Fahrzeuge vorbei.
Sie tastete mit den Fingern der rechten Hand nach dem Kuvert, das auf dem Beifahrersitz lag. Bisher hatten solche Übergaben reibungslos und pünktlich geklappt. Dass es heute eine Verzögerung gab, stimmte sie nachdenklich. Von einem Stau war in den Verkehrsnachrichten nicht die Rede gewesen.
Zu den eisernen Regeln zählte es, niemals telefonischen Kontakt aufzunehmen. Sie selbst wusste am allerbesten, wie verräterisch Spuren im elektronischen Netzwerk sein konnten. Deshalb hatte sie auch ihr Handy ganz abgeschaltet, damit es keine nachvollziehbaren Geodaten beim Mobilfunkbetreiber hinterließ. Für einen Moment musste sie an das winzige Gerät denken, das sie gestern Abend an einem Auto in Neu-Ulm angebracht hatte. Wie sicher konnte sie sich eigentlich sein, dass sie nicht selbst längst Opfer einer solchen Überwachungsattacke war? Zwar warf sie
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