Mundtot nodrm
gibt.«
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Miriam hatte die Frau nicht daheim empfangen wollen, sondern sie zur Kanzlei in der Ulmer Innenstadt bestellt. Joanna Malinowska konnte in der Tiefgarage ›Salzstadel‹ parken und brauchte von dort aus nur ein paar Schritte zur Platzgasse zu gehen, wo sich wegen der Nähe zum Landgericht mehrere Rechtsanwälte angesiedelt hatten. Um diese Zeit am Samstagnachmittag jedoch waren die Büros nicht mehr besetzt.
Miriam betätigte für ihre Besucherin den elektrischen Türöffner und nahm sie zwei Minuten später im vierten Obergeschoss in Empfang. Ihr erster Eindruck von Joanna Malinowska war nicht der beste. Die hochgewachsene Blondine, die in ihrem dunklen Hosenanzug zu dem angebotenen Platz in der Sitzecke des Besprechungsraums stöckelte, wirkte arrogant und unnahbar. Mochte sie damit bei einem bestimmten Männertyp ankommen, nicht aber bei ihr, dachte die Anwältin und ging automatisch in Abwehrstellung. Sie verwarf deshalb auch gleich den Gedanken, ihr einen Kaffee anzubieten.
Miriam verfügte berufsbedingt über eine große Menschenkenntnis, sodass der Bruchteil einer Sekunde über Sympathie oder Antipathie entschied. Dabei ging es keinesfalls vordergründig nur ums Aussehen, sondern um Gang, Gestik, Sprache und Auftreten. Allerdings war sie erfahren genug, um zu wissen, dass ihre Einschätzungen auf rein subjektiven Kriterien beruhten. Deshalb räumte sie all den ›Aussortierten‹ eine zweite Chance ein.
»Sie haben gesagt, es geht um Steffen Bleibach«, begann die Anwältin, um jegliches Vorgeplänkel abzukürzen.
»Was dreht sich in diesen Tagen nicht um ihn?«, fragte Joanna Malinowska mit hartem polnischem Akzent zurück. »Ihnen ist sicher nicht entgangen, dass wir uns schon längere Zeit kennen – der Steffen und ich.«
Miriam sah ihr fest in die Augen. »Wir brauchen, so denke ich, nicht drumherum zu reden. Sie haben ihn angezeigt.« Jetzt war sie ganz die Rechtsanwältin, die nicht mit sich spaßen ließ.
»Ich habe lange mit mir gerungen«, erwiderte Joanna Malinowska sachlich, als wolle sie einen Staubsauger anbieten. »Schließlich ist mir sehr wohl bewusst, was ich uns beiden antue – ihm und mir.«
Miriam gab sich unbeeindruckt. »15 Jahre ist dies her. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Staatsanwalt in diesem Lande gibt, der eine Anklage auf solch dünne Beine stellt.« Sie sah bewusst auf die langen, schlanken Beine ihrer Gesprächspartnerin.
»Wenn es nur meine Behauptung wäre, würde ich Ihnen sofort recht geben, Frau Treiber«, trumpfte diese auf. »Aber ich muss Sie enttäuschen. Es gibt Beweismittel, die dank modernster Kriminaltechnik hieb- und stichfest sind.«
»Kommen Sie mir jetzt nicht mit Sperma daher, das noch nach 15 Jahren auf einem Kissen sichergestellt werden kann.« Miriam winkte verächtlich ab. »Dass es Intimitäten einvernehmlicher Art zwischen Ihnen und Herrn Bleibach gegeben hat, mag ja sein. Sie müssten schon beweisen, dass eine solche Spur gewaltsam zustande gekommen ist. Und selbst wenn es so wäre, würde Ihnen dies nicht gelingen.«
»Habe ich das behauptet?« Die Frau ließ sich nicht beeindrucken. »Es könnte Zeugen oder anderes Beweismaterial geben.«
»Zeugen? Zeugen einer Vergewaltigung, die bis heute geschwiegen haben? Verzeihen Sie, Frau Malinowska, aber was Sie mir da erzählen, klingt ziemlich obskur, finden Sie nicht?«
»Ich sprach von Beweismaterial«, blieb Joanna hartnäckig, »dazu gehören auch Dokumentationen.«
»Ich weiß: Eine heimlich gemachte Videoaufzeichnung. Ihnen dürfte entgangen sein, dass es vor 15 Jahren noch ziemlich schwierig gewesen wäre, sich für den privaten Gebrauch so kleine Überwachungskameras zu besorgen. Und es würde sich zudem die Frage stellen, weshalb Sie als kleine Studentin in Tübingen …«, Miriam gebrauchte diese Formulierung ganz bewusst, »… weshalb ausgerechnet Sie eine angebliche Vergewaltigung gefilmt haben sollten, wo Sie doch nicht ahnen konnten, dass der vermeintliche Übeltäter später so prominent sein würde.«
»Sie werden jetzt gleich sagen, ich will mich an ihm für verschmähte Liebe rächen.«
»Zum Beispiel.« Miriam grinste überlegen. »Aber viel plausibler erscheint mir, dass Sie im Auftrag handeln – von wem auch immer. Soll ich Ihnen mal was sagen: Sie wollen Herrn Bleibach einen Skandal anhängen und endgültig mundtot machen.«
»Ist das nicht etwas zu kurz gedacht? Das Einzige, was ich möchte, ist Gerechtigkeit. 15 Jahre habe ich
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