Mundtot nodrm
gedrückt – und Ihren Rock nach oben in Richtung Ihres Bauches gestreift. Wie stellt sich der zeitliche Ablauf dar?«
Sie zögerte. »Na ja, entschuldigen Sie, aber an den chronologischen Ablauf kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es ging ja auch alles so schnell. Ich liege da, bin schockiert, hab auch schon ein bisschen was getrunken gehabt, und dann vergewaltigt er mich.«
»Dazu«, überlegte Häberle laut, »reichte es aber nicht aus, nur den Rock nach oben zu streifen.«
Wieder antwortete sie nicht gleich. Über ihr ernstes Gesicht huschte so etwas wie ein kurzes, verlegenes Lächeln. »Na ja, es war ein heißer Tag damals. Wir waren alle sehr luftig angezogen, wenn ich das so sagen darf.« Sie erwiderte erstmals Linkohrs Blick, was diesen geradezu elektrisierte. Und was sie mit sanfter Stimme ergänzte, brachte ihn noch mehr durcheinander: »Ob man an solchen Tagen was drunter anhat oder nicht, geht schließlich keinen etwas an.«
Häberle nickte verständnisvoll. »Aber alles, was geschehen ist, war gegen Ihren Willen.«
Joanna wurde plötzlich wieder energisch: »Meinen Sie, sonst wäre ich hier?«
Der Chefermittler ging nicht darauf ein. »Sie werden verstehen, dass es auch für die Staatsanwaltschaft sehr schwierig sein wird, Ihre Angaben juristisch zu untermauern.«
»Natürlich ist mir das klar.« Sie hatte ihr Selbstbewusstsein wiedergefunden.
»Es gibt bisher keine Zeugen und keine Beweise«, gab er zu bedenken.
»Ganz so ist es nicht«, konterte sie. Häberle blieb gelassen, doch Linkohr wurde plötzlich aufmerksam
»Und das wäre?«, wollte der Ermittler wissen.
»Es gibt den Rock noch«, sagte sie. »Ich hab ihn nie gewaschen und nie weggeworfen.«
Häberle verschlug es beinahe die Sprache. »Sie haben das Kleidungsstück noch?«
Sie nickte heftig. »Ich habe den Rock nie mehr wieder getragen, aber in einen Wäschesack getan. Bis zum heutigen Tag.«
»Und auf dem Stoff gibt es Spuren – von Bleibach?«
»Ganz sicher«, erwiderte sie.
Häberle sah zu Linkohr, der die Augenbrauen hob.
»Können wir den Rock bekommen?« Häberle wollte keinen weiteren Kommentar dazu abgeben.
»Natürlich. Sie haben ja meine Adresse. Ich bin die nächsten Tage in Neu-Ulm.«
»Dann wird ihn mein junger Kollege morgen abholen«, entschied Häberle und grinste zu Linkohr hinüber, der einen Ausbruch von Glückshormonen zu spüren glaubte. Dies verstärkte sich noch, als ihn Joanna aufmunternd von der Seite ansah. Beinahe provokant, wie er zu sehen glaubte.
»Falls wir noch weitere Fragen haben, wird er Sie damit konfrontieren«, fuhr Häberle fort. »Eines aber würde mich noch interessieren«, ergänzte er. »Hatten Sie denn damals eine feste Beziehung? Wenn ich richtig zurückrechne, waren Sie zum fraglichen Zeitpunkt 25 Jahre alt.«
Sie zögerte. »Tut das denn was zur Sache?«
»Nicht direkt, nein. Aber Kriminalisten sind nun mal so, dass sie möglichst vieles von den beteiligten Personen wissen möchten.«
»Den Mann gibt’s hier nicht mehr«, antwortete sie kühl. »Wir waren keine zwei Jahre zusammen. Er ist aber nach unserer Trennung nach Australien ausgewandert.«
Häberle ließ sich trotzdem den Namen geben.
58
Jens Seifried hatte sich schneller als erwartet erholt. Er war nicht der Typ, der gerne krank feierte. Er musste raus auf die Straße – und zwar mit ›seinem‹ Lastzug. Als er dem Chef telefonisch mitgeteilt hatte, dass er an diesem Tag die Arbeit wieder aufnehmen werde, ließ er sich für eine Tour nach Hamburg einteilen. Abfahrt um 22 Uhr.
Die Novembernacht war ruppig und nass. Nicht gerade ideale Verhältnisse, um stundenlang über die Autobahn zu fahren. Seifried hatte seinen Pkw auf dem Mitarbeiterparkplatz abgestellt und sog die kühle Herbstluft in sich hinein. Auf dem Speditionsgelände standen neun Sattelzüge, die sich tiefschwarz von der nur spärlich beleuchteten Umgebung abhoben. Seifried trug die Mappe, die Frachtpapiere und Proviant enthielt, lässig unterm Arm, während er mit den Fahrzeugschlüsseln spielte und sich seinem Sattelzug näherte, der abseits von den anderen Lkws geparkt war. In den Pfützen, die der Nieselregen auf dem Asphalt hinterlassen hatte, spiegelten sich die Straßenlampen. Das meiste Licht jedoch verschlang die sternenlose Nacht. Nur vereinzelt drangen Fahrgeräusche von der nahen Bundesstraße herüber.
Keinen Hund jagt man in solchen Nächten aus dem Haus, dachte Seifried und freute sich auf seine Fahrerkabine, die sehr
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