Mundtot nodrm
im Gymnasium. »Vielleicht findet der Herr Kommissar ja mal Zeit auf ein Gläschen Wein, drüben in Ulm, im Fischerviertel«, fuhr sie mit schüchternem Unterton fort.
Linkohr spürte plötzlich wieder seinen Herzschlag. Er trank seine Tasse leer, um ein paar Sekunden Zeit zu gewinnen. »Wenn Ihr Partner nichts dagegen hat«, erwiderte er leise und empfand diese Bemerkung als genial. So würde er gleich wissen, ob sie Single war.
»Ha!«, entfuhr es ihr. »Keine Sorge, es wird kein Eifersuchtsdrama geben.«
Erschöpfend war diese Antwort nicht, dachte Linkohr, wollte aber die gebotene Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. »Okay«, beschied er lächelnd. »Ich werde mich melden.«
»Das wird bestimmt ein spannender Abend«, freute sie sich. »Ich schlage Ihnen dann ein schnuckeliges Lokal vor.«
Linkohr erhob sich und wollte sich verabschieden.
»Ach ja«, sagte sie und stand ebenfalls auf, als wollte sie ihn am Weggehen hindern. Lächelnd sah sie ihm ins Gesicht: »Falls Sie keine Minikleider mögen, sagen Sie’s mir bitte, dann werde ich mich winterlich kleiden.«
Linkohr war über diese Bemerkung perplex. Was hätte er jetzt antworten sollen? Dass ihn so viel nackte Haut atemlos machte? Oder dass er es nicht ertragen konnte, auf diese Weise angemacht zu werden? Es wäre zwar seriös, aber schamlos gelogen gewesen. »Ich überlasse das Ihnen«, erwiderte er, nahm die Tüte und wandte sich der Diele zu. Er wollte es vermeiden, dass Joanna ihn jetzt womöglich umarmte oder ihm gar einen Kuss auf die Wange drückte. Nicht heute.
Linkohr spürte Schweiß auf der Stirn. Er wollte nur noch gehen. Alles Weitere konnten sie später am Telefon besprechen.
Um die spannungsgeladene Atmosphäre abzukühlen, deutete er auf das Gemälde mit den positiven Farben und täuschte Interesse vor. »Was zeigt es eigentlich?«
»Die geheimnisvolle Energie der Liebe«, sagte sie spontan. Linkohr hegte Zweifel, ob der Maler sein Werk tatsächlich so genannt hatte.
»Wie gesagt, von einem alten Freund«, setzte sie hinzu. »Aus meiner Tübinger Zeit. Er hat’s mir später mal geschickt.«
Linkohr erinnerte sich an eine Bemerkung, die sie bei der gestrigen Vernehmung gemacht hatte. »Jener, der dann nach Australien gegangen ist?«
Ihre Gesichtszüge veränderten sich. »Wie?«, staunte sie. »Wie kommen Sie denn da drauf?«
Linkohr spürte, wie sich die erotische Spannung abbaute und der Ernüchterung wich. »Sie haben gestern doch so etwas angedeutet.«
»Richtig, ja«, erwiderte sie und gewann ihre Fassung zurück. »Natürlich. Genau der. Ein Typ, der im tiefsten Herzen immer positiv gestimmt war. Eigentlich künstlerisch veranlagt, aber beruflich ein Techniker. Er hat die Malerei als Ausgleich gebraucht.«
»Jetzt haben Sie aber keinen Kontakt mehr zu ihm?«, fragte Linkohr und betrachtete das Gemälde genauer. Er erkannte fremdartige Bäume und eine weite Landschaft.
»Nein, schon lange nicht mehr.«
Linkohr suchte nach einer Signatur und entdeckte im rechten unteren Bildrand etwas Ähnliches. »Da hat er sich verewigt?« Er deutete auf die buchstabenartigen Zeichen.
»Ja, ja, mit Jahreszahl. Zweitausend war’s. Zum Millennium hat er mir’s geschickt.«
»Wie heißt er denn?«, wagte Linkohr den Vorstoß.
Sie zögerte. »›Max‹ heißt das, was er hier draufgeschrieben hat. Max zweitausend.«
»Und der Nachname?«
»Ist das nun berufliches Interesse oder privates?«
Linkohr besah sich die Pinselführung aus der Nähe. »Sowohl als auch.«
»Wenn’s dem Kommissar hilft«, gab sich Joanna geschlagen und kam ganz dicht an ihn heran, sodass er ihr erregendes Parfüm riechen konnte. »Er heißt Max Grüninger, aber ich weiß wirklich nicht, wo er sich heute aufhält. Er war damals schon viel im Ausland unterwegs, beruflich. Als Bauingenieur. Kurz nachdem er das Bild geschickt hat, ist der Kontakt abgebrochen. War auch besser so.«
Linkohr war froh, dass er sich mit diesem sachlichen Gespräch aus der Wohnung stehlen konnte. Er brauchte jetzt Zeit, über diese Situation nachzudenken. Doch ihm war klar, dass er die Ermittlungen, natürlich rein privat, fortsetzen würde.
63
Lokaljournalist Georg Sander, der seit Jahr und Tag zwischen Göppingen und Geislingen für Mord und Totschlag zuständig war, hatte zu seinem größten Bedauern erst am späten Vormittag von dem Verbrechen auf dem Gelände der Spedition erfahren. Zwar fuhr er sofort mit Fotograf Steffen Talheimer zum Tatort, doch deutete nichts mehr auf
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