Mundtot nodrm
drehte sich zu Häberle: »Jens hat ihm die Flausen von einem Studium aus dem Kopf getrieben. ›Lern ein Handwerk‹, hat Jens gesagt – und er hatte recht. Wovon hätten wir denn ein Studium finanzieren sollen? Noch dazu Geschichte, Philosophie oder gar Theologie. Das sind doch lauter brotlose Wissenschaften.«
»Gefällt Ihnen denn Ihre Handwerker-Lehre?«, fragte Häberle den jungen Mann.
Der zögerte, weil er offenbar eine neuerliche Attacke seiner Mutter fürchtete. »Gefallen nicht unbedingt«, antwortete er vorsichtig, »vor allem, wenn ich sehe, was meine früheren Schulkameraden im Gymnasium alles machen.«
»Quatsch doch nicht rum«, wurde Frau Seifried jetzt richtig böse. »Du wirst längst gutes Geld verdienen, wenn die immer noch beim Studium rumhängen.«
Häberle fiel plötzlich etwas ein. »Belassen wir’s dabei«, beruhigte er die Frau, »ich denke, dass sich meine Kollegen um das weitere Umfeld Ihres Mannes kümmern.«
»Sie haben sein Laptop mitgenommen und eine defekte Festplatte«, erwiderte sie verständnislos. »Ich weiß zwar nicht, was das soll – aber wenn’s sein muss, meinetwegen.« Sie zögerte. »Was ich vergessen habe, Ihren Kollegen zu sagen: Es gab bis vor drei Wochen noch einen zweiten Laptop. Der wurde meinem Mann aber gestohlen.«
»Gestohlen?«, zeigte sich Häberle interessiert. »Wie das denn?«
»Er hat ihn immer dabeigehabt. Unterwegs. Um irgendwelche Spiele zu machen, wenn er allein auf Rastplätzen rumgehangen ist. Als er ihn dann mal in seinem Auto hier vor dem Haus liegen hatte, war er plötzlich weg.«
»Hat er den Diebstahl angezeigt?«
»Nein. Er hat sich zwar geärgert. Aber er war selbst schuld. Hatte das Auto nicht abgeschlossen.«
Häberle nickte. »Nur noch eine abschließende Frage, Frau Seifried«, fuhr er dann ruhig fort. »Welche Konfektionsgröße hatte denn Ihr Mann?«
Barbara Seifrieds Gesicht erstarrte, ihr Sohn Boris zog die Augenbrauen zusammen. Auch Linkohr verstand nicht, was diese Frage sollte.
68
Miriam Treiber überflog den Kalender des nächsten Jahres. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Sie hatte ihre Dateien und Speichermedien inzwischen gründlich durchforstet. Immerhin hatte sie gelernt, wie man elektronische Spuren nachhaltig beseitigte. Vieles davon würde für immer verschwinden, anderes in sicheren Tresoren landen. Dazu zählten auch die gespeicherten Chats, bei denen es ihr gelungen war, tief in die Privatsphäre der ›Zielpersonen‹ einzudringen. ›Herkulesspanner‹ war nur einer von gut einem halben Dutzend Männern, die ihr im Fieber nächtlicher Erotik alles anvertraut hatten. All deren Versuche, sie zu einem Video-Telefonat über Skype zu bewegen, wies sie liebenswürdig, aber bestimmt zurück.
Inzwischen war sie so geschickt, dass ihr die Angeschriebenen ziemlich schnell und völlig arglos Intimstes preisgaben. Für Miriam war es ein Leichtes, all ihre Antworten darauf auszurichten und bei ihrem Gegenüber nach und nach als Idealbild einer Traumfrau zu erscheinen. Wenn sich dann der Mann spätestens beim dritten nächtlichen Chat-Kontakt ein Foto von ihr wünschte, griff sie auf ihren reichhaltigen Fundus von Frauenbildern jeglichen Typs und Alters zurück. ›Herkulesspanner‹ stand auf den Typ Domina, um die 40, sehr groß, superschlank und blond. Sie hatte mit ihm stundenlang gechattet und ihn im Glauben gelassen, in denselben Fantasien zu schwelgen wie er. Dass er ihren Namen nicht kannte und sie deshalb auch nur ›Lunaluder‹ nannte, war für sie ein Zeichen, wie sehr ihm seine Hormone den Verstand blockierten.
Vergangene Nacht hatte Miriam seinem Drängen auf ein Treffen endlich nachgegeben. Wie er aussah, wusste sie inzwischen. Er hatte ihr ein Foto gemailt – und als sie es sah, war sie überrascht. Es schien ihr, als habe sie das Gesicht schon einmal irgendwo gesehen.
Für das Treffen hatte er ein Lokal in München vorgeschlagen, zumal er dort angeblich wohnte. Ob dies stimmte, war für Miriam natürlich nicht zu überprüfen gewesen. Immerhin hatte auch sie ihren tatsächlichen Wohnort verschwiegen und behauptet, sie lebe im Raum Stuttgart. Deshalb entschied sie sich für ein Autobahn-Rasthaus. In diesen Einrichtungen, wo meist keiner den anderen kannte, war man erfahrungsgemäß am sichersten vor neugierigen Blicken.
Miriam wusste, dass sie in keiner Weise dem Ideal von ›Herkulesspanner‹ entsprach. Sie war dafür zu klein, nicht schlank genug und hatte auch keine blonden Haare. Da ihm mit
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