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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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herumzukritteln? Selbst
bist du ganz gaga wegen Mirela, mal wieder eine von deinen idiotischen
Spinnereien, aber monatelang an Frank rumnörgeln. Jetzt hast du doch, was du
wolltest. Ich meine, was genau willst du eigentlich?«
    Wieder
hatte ich keine Antwort parat. Eine Leuchtkugel rettete mich. Sie explodierte
direkt vor dem Fenster, tauchte die Schlafzimmerwand in ein höllisches Rot und
verursachte ein Grollen, das sekundenlang nachhallte. »Was, zum Teufel, ist da
los bei dir?«, hörte ich von weit her ein knackende Stimme fragen. »Hört sich
an, als stürmten die Bauern die Zinnen.«
    »Das ist
schon erledigt«, sagte ich niedergeschlagen. »Jetzt steigt gerade die
Siegesfeier.«
    Sie
lachte. »Mein armer Charles«, sagte sie. »Und obendrein noch Bel, die dich
anschnauzt. Eigentlich hatte ich mir geschworen, dich diesmal nicht
anzuschnauzen. Ich hab dich noch nicht mal gefragt, wie es dir geht. Wie geht's
dir?«
    »Na ja,
es...«
    »Charles«,
fiel sie mir gleich wieder ins Wort. »Tut mir Leid, dass ich dich unterbreche,
aber ich muss gleich los zu einer Besprechung, und bevor ich vergesse, warum
ich dich eigentlich angerufen habe ... Ich wollte dir nur sagen, ich bin mir
sicher, dass jetzt alles gut wird, für uns beide. Ich meine, bei allem, was ich
gerade so durchmache, ist mir klar geworden, dass die Dinge sich ändern ...
dass, wenn es so aussieht, als wenn alles gegen einen arbeitet, dass genau dann
irgendwas aus dem Nichts auftaucht, und plötzlich ist alles ganz anders. Das
wollte ich dir bloß sagen.«
    »Danke«,
sagte ich steif.
    »Und dann
wollte ich noch ... Kannst du Frank sagen, dass wir für das Stück einen
Rollstuhl brauchen, und wenn er zufällig einen bei der Hand hat...«
    »Ja, ja,
alles klar.«
    »Ich muss
jetzt. Und denk dran, was ich dir gesagt habe.«
    In
Gedanken versunken schlurfte ich zurück ins Wohnzimmer. Frank war aus dem Bad
zurück und saß jetzt zusammen mit Droyd vor dem Fernseher. Das Krachen auf der
Straße hörte sich an wie feindliche Artillerie. Die beiden im flackernden
Lichtschein kauernden Gestalten sahen aus wie Soldaten, die in einem Schützenloch
festsaßen. »Bel will einen Rollstuhl«, sagte ich.
    »Gut«,
sagte Frank, ohne sich umzuschauen.
    Ich setzte
mich aufs Sofa. Ich fühlte mich, als wäre ich gerade durch einen Wirbelsturm
marschiert. Ich war nicht daran gewöhnt, dass Bel sich so glücklich anhörte.
Es machte mich nervös. Es war, als ob ein Auto in einem Gang fuhr, den es
eigentlich gar nicht hatte. Ich fragte mich, was ihr dieser Lump da oben auf
dem Dach erzählt hatte.
    »...
erklären die Streitkräfte, dass dies nur einer von Dutzenden ähnlicher
Fundorte überall in der Region ist«, sagte der Fernseher zu den Bildern eines
Soldaten, der mit dem Stiefel Erde wegscharrte, um etwas freizulegen, das
aussah wie ein Haufen verblichener Stofffetzen.
    Mit einem
hatte sie allerdings Recht: Seit Monaten hatte ich den Tag herbeigesehnt, an
dem sie Frank an die Luft setzte. Nichts wollte ich mehr, als dass sie ihn loswürde,
mitsamt seinem verrosteten weißen Lieferwagen und seinen verstümmelten Satzkonstrukten.
Nun, da der Tag gekommen war, sollte ich doch mit Recht einen Augenblick des
Jubels oder Triumphes verspüren oder zumindest ein schwaches Gefühl von der
Endlichkeit und Vergänglichkeit aller Dinge. Stattdessen saß ich auf dem
grotesk unförmigen Sofa, wartete auf den Rausch des Sieges und fühlte mich doch
nichts weiter als ärgerlich hohl.
    Das war
absurd! Hatte ich da etwas verpasst? War mein Leben wirklich so kompliziert
geworden, dass die fundamentalen Begriffe von richtig und falsch nicht länger
galten? Großer Gott, jetzt, da sich ein winziger Erfolg eingestellt hatte,
erhob da meine eigene Seele Einspruch und verwandelte ihn in eine Niederlage?
    »Großer
Gott«, entfuhr es mir.
    »Was ist,
Charlie?«
    »Nichts,
nichts, hat bloß ein bisschen gezwickt«, sagte ich und tippte an meinen
Verband. Er wandte sich wieder dem Fernseher zu und ich meinem Ringen mit der
immer offenkundiger werdenden Meuterei in meinem Innenleben.
    Ich
versuchte dieser entgegenzuwirken. Ich verwies auf die Fakten. Ich erinnerte
mich an die ekligen Szenen, wenn er Bel befummelt hatte. Ich dachte daran, wie
er meinen Turm in die Luft gesprengt hatte. Ich ließ meinen Blick über die
traurig dreinblickenden Cherubim in den Regalen schweifen, über die einsamen
Gartenfiguren und die untröstlichen Kommoden, die man allesamt gegen ihren
Willen aus anderer Leute

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