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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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merkte. »Was dagegen, wenn ich das mal aufmache? Mein Hals fängt schon an
zu jucken.« Sie zuckte mit den Achseln. Ich schob das Fenster hoch und schaute
nach draußen.
    Es war
Winter. Hier draußen, wo die Dinge lebten und wieder starben, sah man das
besser als durch ein kleines Fensterviereck, das von Wolken oder
Feuerwerkskörpern ausgefüllt wurde. Im Garten klammerten sich die Bäume an ihre
letzten Blätter. Wie dünne Mädchen, die man beim Nacktbaden erwischt hatte,
leuchteten sie tiefrot. Der alte Thompson, dem man jedes seiner eine Million
Jahre ansah, trotzte auf seiner Veranda der Kälte. Ein silbriger Nebel, der
aussah wie ein kilometerbreiter Teppich aus Spinnweben, drängte von See her ins
Land.
    »Frank
lässt dich grüßen«, sagte ich und kitzelte mit der Fingerspitze die Lilie auf
der Fensterbank. »Eigentlich wollte er auch kurz reinschauen, aber er musste
gleich wieder weg. Irgendwas Wichtiges.«
    »Gut«,
brummte sie entschiedener, als unbedingt nötig gewesen wäre. Ich wandte mich
halb um und sah aus dem Augenwinkel, dass sie sich mit gerunzelter Stirn im
Spiegel betrachtete. Sie sah ganz anders aus, als sie sich zuletzt am Telefon
angehört hatte - als sie noch so voller Energie gewesen war. Mutter hatte
Recht: Etwas Düsteres, das nichts Gutes verhieß, umwölkte ihre Stirn. An einer
Schnur um den Hals trug sie eine Art Anhänger - eine glatte Metallscheibe, die
mir irgendwie bekannt vorkam.
    »Also, wie
geht's dir so?«, fragte ich unschuldig. »Alles in Ordnung?«
    Sie warf
den Wattebausch in den Papierkorb. »Alles bestens«, murmelte sie und schraubte
den Deckel von einem Töpfchen mit duftendem Balsam, das zu einer kleinen Armada
aus Badeölen, Reinigungslotionen und Gesichtscremes gehörte, die die Frisierkommode
bedeckten.
    »Kommt mir
so vor, als wenn du ... äh ... ein bisschen durch den Wind wärst.«
    »Alles bestens«, wiederholte sie. »Ich bin ein bisschen müde, das ist alles. Ist ein
Haufen Arbeit, so ein Stück auf die Beine zu stellen.«
    »Wirklich?«
    »Du machst
dir keinen Begriff.« Sie beugte sich zum Spiegel vor, tupfte sich zwei Kleckse
unter die Augen und verrieb sie auf den Wangen. »Das macht so viel Arbeit, dass
ich manchmal schwören könnte, das verdammte Haus arbeitet gegen mich und will
das Theater verhindern. Ich weiß, das hört sich lächerlich an ... Trotzdem, ist
mir egal, ich mag das alles, die Proben, nächtelang die Scheinwerfer
einstellen, die Plakate entwerfen und tausend andere Sachen, alles auf einmal,
ja, mir gefällt das. Was mir wirklich an die Nieren geht, ist das Geld. Das
endlose Gerede über Geld. Als wenn es nichts anderes geben würde auf der
Welt...
    »Wieso
Geld?«, sagte ich.
    »Weil wir
keins haben«, sagte sie. »Ich meine, eigentlich müsste genug da sein, zumindest
so viel, dass wir so eben durchkommen. Aber jedes Mal, wenn ich Mutter darauf
anspreche, hat sie keine Zeit, und wenn ich mir selbst die Familienkonten
anschaue, blicke ich nicht durch. Sieht aus wie ein Labyrinth oder wie ein
modernes Kunstwerk oder so. Und ohne Geld geht gar nichts. Wir können keine
Werbung machen, also kommen keine Zuschauer, also kriegen wir keine
öffentlichen Zuschüsse - das ist ein Teufelskreis.« Mir schoss der Gedanke
durch den Kopf, dass es nur einen einzigen Weg gegeben hätte, um für Feuerfrei! an mehr Zuschauer zu kommen: wenn man unten an den Docks betrunkene
Seeleute kidnappte. Ich behielt den Vorschlag aber für mich. »Der Schauspielunterricht
und das Hilfsprogramm, das liegt alles auf Eis, weil wir dauernd diese endlosen
Meetings haben, und Meetings über Meetings, und Meetings über Meetings über
Meetings, und alle reden und reden und keiner tut irgendwas.«
Ihre unheilvoll umwölkte Stirn bewölkte sich noch mehr. »Mirela will für das
nächste Stück eine Fundraising-Party, eine Extraveranstaltung nur für geladene
Gäste, wo wir Firmensponsoren anwerben können.«
    »Und wenn
schon! Mirela weiß wahrscheinlich, wovon sie redet«, warf ich ein. Was
offenkundig genau der falsche Einwurf war. Sofort lief Bel scharlachrot an und
hielt mir einen Vortrag darüber, dass Banken, E-Business-Unternehmen,
Telefongesellschaften und der Rest dieser Bagage genau die seien, gegen die
sich die Arbeit des Theaters richten sollte, und lieber würde sie die ganze
Sache scheitern lassen als sich zu verkaufen und so weiter und so fort.
    »Ich hab
ja nur gemeint, dass ... Sie hat doch sicher mit ihrer Gruppe damals in
Slowenien, oder wo das war,

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