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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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hatte, unbesetzt gewesen war. Er stützte sich auf die Theke
und trank ein Glas Milch.
    »Sie«,
sagte ich.
    »Ah, Sie
sind es«, sagte er und bedachte mich mit einem hinterhältigen Grinsen -
zweifellos in der Hoffnung, mich so von dem abzulenken, was er gerade in ein
langes braunes Kuvert zurückschob und unter seinem Pullover verschwinden ließ.
    »Bel will
Sie sprechen«, sagte ich.
    »Ja, ja«,
sagte MacGillycuddy seufzend. »Hab ich mir schon gedacht.« Er piekste sich eine
Olive aus dem Schüsselchen, das neben seinem Ellbogen stand, und erhob sich
schwerfällig. Schnell packte ich seinen Arm. »Nicht so hastig«, sagte ich.
    MacGillycuddy
schaute mich mit leicht amüsiertem Gesichtsausdruck an.
    »Ich will
wissen, was mit meiner Schwester los ist«, sagte ich. Er lächelte sanft und bog
dann, einen nach dem anderen, meine Finger von seinem Handgelenk.
    »Reden
Sie, verdammt!«, sagte ich keuchend vor Schmerz. »Und erzählen Sie mir keinen
Quatsch von wegen Vertraulichkeit, MacGillycuddy. Sie würden eine
Vertraulichkeit nicht erkennen, wenn sie sich an Sie anschleichen und Ihnen
ganz vertraulich ins Ohr flüstern würde ...«
    »Wissen
Sie, ich habe nie verstanden, warum die Leute so wild auf dieses ganze Theatergedöns
sind«, sagte MacGillycuddy nachdenklich, während er behutsam meinen Zeigefinger
und dann den Mittelfinger zurückbog. »Jeder tut so, als wär er ein anderer, und dann bringen sie alles durcheinander,
bis man nicht mehr weiß, worum's am Anfang überhaupt ging. Eine nette Dokumentation,
okay, jederzeit. Oder was über Geschichte, einverstanden. Die Fakten, Ma'am,
bitte nur die Fakten.«
    »Was, zum
Teufel, reden Sie da?«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen, während sich
meine Augen langsam mit Tränen füllten.
    »Ah ja.«
Er trat einen Schritt zur Seite und rieb sich geistesabwesend die befreite
Hand. »Steckt sicher jede Menge Geschichte in dem alten Kasten hier, was?«
Dann wandte er mir den Rücken zu und schlurfte träge über das gewienerte
Parkett in die Halle. »Sie wissen doch, wie das ist mit Geschichte, oder C?« Er
blieb kurz stehen und begutachtete Vaters Porträt. »Sie wiederholt sich.«
    »Was
meinen Sie? Was geht hier vor?«
    MacGillycuddy
lutschte nur an seinen Zähnen und verschwand aus meinem Blickfeld. Aus der
Halle schaute Vater mit unergründlichen Augen auf mich herab; die schmalen
Lippen fest verschlossen, als wolle er sein Urteil bis in alle Ewigkeit für
sich behalten. Wie in Trance drehte ich mich um und stolperte zurück in den
Theaterraum.
    »Wo warst
du, Charlie?« Frank beugte sich zu mir herüber. »Du hast was Höllisches
verpasst. Der Richter hat gesagt, dass man keine Rampe ins Krankenhaus
reinbauen kann, weil das so ein besonderes historisches Gebäude ist, in das
man keine neuen Sachen reinbauen darf, und dann hat Harry weitergemacht mit
seiner großen Rede und gesagt, wenn einer die Stufen des Gesetzes nicht
hochkommt, dann muss eben das Gesetz runterkommen zu ihm.«
    »Oh«,
sagte ich und spürte ein nagendes Gefühl in der Magengrube, als ich die
Figuren auf der Bühne betrachtete.
    »Donnerwetter!«
Der Richter ließ seinen Hammer mit aller Macht niedersausen. »Sie können hier
nicht einfach reinhüpfen und zweihundert Jahre Rechtsprechung auf den Kopf
stellen! Es gibt Verfahrensregeln für solche Fälle, Rechtswege...«
    »Meine
Mandantin pfeift auf Ihre Rechtswege!«, rief Jack Reynolds und krempelte die
Ärmel auf. »Und wissen Sie auch, warum? Weil sich meine Mandantin dieses
Gewäsch nun schon ihr ganzes Leben lang anhören muss?« Ein Raunen ging durch
die Gerichtssaalkulisse. »Jawohl, Gewäsch!«, wiederholte er. »Das ganze Leben
schiebt man sie jetzt auf >Rechtswegen< herum, die andere Leute ihr
vorgeschrieben haben. Sie sollte doch froh sein darüber, dass man sie schiebt,
genau das denken Sie doch! Sie sollte froh sein, dass überhaupt jemand da ist,
der sie schiebt! Sie sitzt ja im Rollstuhl! Sie ist ja ein Krüppel!«
    Diesmal
griffen die Wellen der Erregung aufs Publikum über und übertönten sogar kurz
den hämmernden Richter, der brüllte: »Ruhe! Ruhe! Bel Gott, ich verlange
Achtung für dieses Gericht, und wenn ich herunterkommen und sie Ihnen selbst
beibringen muss.«
    »Genau das
denken Sie doch, oder?«, brüllte Harry zurück.
    »Das
denken Sie doch alle, warum sagen Sie es dann nicht? Ein Krüppel!« Er schwang
seinen Arm herum und zeigte mit dem Finger auf Bel, die blass in ihrer Ecke saß
und in die Höhle der

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