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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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für sie zu erledigen. Ich soll
ein paar von den alten Freundinnen von diesem Muppet anrufen und rausfinden,
wie er so tickt. Das hab ich gemacht, und alle sind zufrieden. Zwei Wochen
später ruft sie wieder an: Sie ist sich nicht sicher, sie glaubt, dass er diese
kleine Flüchtlingslady knallt, sie ist außer sich, sie kann nicht mehr
schlafen. Was hätte ich tun sollen? Ich bin der Mann, der die Fakten liefert.
Hätte ich sie etwa wegschicken sollen?«
    Plötzlich
war ich viel zu erschöpft, um noch angemessen zornig zu werden. Ich schloss die
Augen und presste die Hände gegen die Schläfen. »Verschwinden Sie,
MacGillycuddy.«
    »Ist nicht
mein Fehler, dass sie genauso gestrickt ist wie Sie.« Er hob abwehrend die
Hände. »Der gleiche Betonschädel. Ich hab ihr bloß die Fakten geliefert. Fakten
sind Fakten, gibt kein Richtig oder Falsch. Man kann nicht mich dafür
verantwortlich machen, wenn...«
    Ich
versuchte eine vorgetäuschte Attacke, doch er sprang wie eine Katze, die einem
Stein ausweicht, zur Seite und machte sich in Richtung Hintertür davon. »Und
wagen Sie es ja nicht, noch mal hier aufzutauchen!«, rief ich ihm hinterher.
Dann ging ich zu den anderen, die nervös in der Kulisse standen. Der
Rechtsanwalt und das wunderschöne Model waren wieder in der Küche. Sie hatten
beschlossen, reinen Tisch zu machen und ihre Affäre zu offenbaren. Jetzt
warteten sie auf Bels Rückkehr aus dem Krankenhaus, wo sie mittels der neuen
Rampe Mutter besuchen konnte. Im Drehbuch hat die Beichte der beiden Bels
Offenbarungserlebnis zur Folge, in dem sie erkennt, was für ein furchtbarer
Mensch sie gewesen ist. Beseelt von Wiedergutmachungswillen beschließt sie, die
revolutionäre, wenn auch potenziell tödliche neuen Heilmethode zu riskieren,
was jedoch tragisch schief geht - sie stirbt, Harry und Mirela können heiraten.
Doch keine Spur von Bei: Mirela hatte jetzt schon dreimal das Stichwort gesagt,
und die beiden wurden langsam etwas unruhig.
    »Hoffentlich
ist ihr nichts zugestoßen«, sagte die am Tisch sitzende Mirela und schaute
besorgt zur Bühnenseite.
    »Wer
weiß?«, improvisierte Harry. »Vielleicht hat der Gedanke, das Schicksal selbst
in die Hand zu nehmen, nicht dazu geführt, dass sie ihre Rolle in der
Gesellschaft neu bewertet, sondern dazu, dass sie sich in einen Zustand der
moralischen Feigheit zurückgezogen hat.« Oberlehrerhaft hob er den Finger. »In
welchem Falle, Ann, es unsere Aufgabe wäre, sie davon zu überzeugen...«
    Überzeugungsarbeit,
die nicht mehr vonnöten war, denn in diesem Augenblick ging Bel auf die Bühne.
Das Publikum stöhnte auf.
    »Ah,
Mary«, stammelte Harry. »Wo ist dein Rollstuhl?«
    Ohne ihm
zu antworten, ging Bel quer über die Bühne und blieb hinter Mirela stehen, die
regungslos dasaß und auf den Tisch schaute. Dann bückte sie sich vor und
flüsterte ihr deutlich hörbar ins Ohr: »Kuckuck.«
    Ein oder
zwei nervöse Lacher waren zu hören. Neben mir zischte Mutter etwas, das ich
nicht verstand. Bel ging um den Tisch herum zu Harry, der, als wolle er sich
gegen einen Schlag wappnen, mit leicht hochgezogenen Schultern am Bühnenrand
stand. Um die beiden herum schien einen langen, gespannten Augenblick lang
alles in Dunkelheit zu versinken. Sie schaute ihn mit dem gleichen sezierenden
Blick an, dessen Opfer gelegentlich auch ich schon gewesen war. »Golem«, sagte
sie. Dann drehte sie sich um, ging würdevoll von der Bühne in die Kulissen und
rauschte an uns vorbei, als wären wir Luft.
    Im
Publikum verlegenes Rumoren. Mirela sackte auf ihrem Stuhl zusammen. Kurz
schien das Haus, die Welt, aus den Fugen geraten und zur Seite wegzukippen.
Dann fing sich Harry wieder. Mit einer Geistesgegenwart, die man nur bewundern
konnte, ging er zu Mirela, zog sie von ihrem Stuhl hoch und sagte: »Verstehst
du denn nicht, was geschehen ist? Wir haben sie gerettet! Liebling, wir haben
sie gerettet!« Dann nahm er sie in die Arme und küsste sie.
    »Den
Vorhang«, keuchte Mutter mir ins Ohr. »Um Gottes willen, den Vorhang.«
    Ich
hastete zur Schalttafel, vor der wie gelähmt der pummelige Inspizient stand,
und legte aufs Geratewohl einen Hebel um. Der Vorhang fiel; es herrschte
absolute Stille.
    »Wir sind
erledigt«, stöhnte Mutter. Schauspieler und Bühnenarbeiter standen
niedergeschlagen herum und schauten sich verwirrt an. Einer der Schauspieler
schlug ernsthaft vor, dass wir uns aus dem Staub machen und irgendwo ein neues
Leben beginnen sollten. Seine Kollegen unterstützten

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