Murray, Paul
herum,
hysterisch und gelegentlich mit französischem Akzent. Es war eine Erlösung,
als er starb und wir ihn für unsere Erinnerungen wieder so sehen konnten, wie
er vor diesem tödlichen Vaudeville gewesen war. Seine letzten Worte an mich
habe ich immer noch im Ohr. Mit einem zerbrechlichen, gekrümmten Finger winkte
er mich aus dem Dunkel zu sich, und ich kniete mich neben sein Bett. »Mein
Junge ... die Welt ist grausam...«, hatte er geflüstert. »Vergiss nie ... die
Feuchtigskeitscreme...«
Obwohl es
zu Vaters Lebzeiten in der Regel seine Stimmung gewesen war, die das Haus
prägte, so war Mutter immer die Härtere der beiden gewesen, eisern auf
korrektes Benehmen achtend und auf, wie sie es nannte, »Kinderstube«. Ihn
umgaben eine Art spröder Weltabgewandheit und eine Aura vergeistigter Distanz.
Sie hingegen kannte so ziemlich jeden, den man kennen konnte, und flatterte
ununterbrochen zwischen Lunches, Vernissagen, Buchpräsentationen und
Dinnerpartys hin und her, mit oder ohne Vater im Schlepptau. Vor allem in den
letzten Jahren wurde sie immer unabhängiger; je mehr er sich zurückzog, desto
mehr nahm sie im Haus die Zügel in die Hand.
Kurz nach
seinem Tod jedoch begann auch sie zu verfallen. Nach und nach, aber
unübersehbar, ein langsamer, unwiderruflicher Rückzug, bis sie schließlich das
Haus überhaupt nicht mehr verließ und auch keine Telefonanrufe mehr
entgegennahm. Gleichzeitig legte sie eine Heiterkeit an den Tag, die gar nicht
zu ihr passte. Dauernd verwickelte sie Bel und mich in alberne, geschwätzige
und endlose Gespräche. Sie plapperte uns mit Klatsch über die Nachbarn, vagen
Urlaubsplänen oder irgendeiner unbedingt zu erledigenden Arbeit am Haus voll.
Sie saß in ihrem Sessel im Salon und informierte uns wie ein Privatticker von
Reuters über alles, was ihr gerade durch den Kopf ging. Das war die eine Seite
von ihr, von deren Existenz wir keine Ahnung gehabt hatten, und die (so unsere
Vermutung) an Vater immer abgeprallt war und jetzt plappernd über uns kam. Wir
wussten nicht recht, wie wir darauf reagieren sollten. Und wenn wir es taten,
wussten wir nicht genau, ob sie uns überhaupt zuhörte, weil sie nämlich ohne
Unterbrechung trank. Martinis zum Frühstück, Whisky Sours bis in den Abend,
trinken und reden, reden und trinken. Bis sich eines Abends die Lage zuspitzte.
Im Laufe
des Jahres hatte sich zwischen Mutter und Bel eine ziemlich hitzige Beziehung
entwickelt, die sich an den banalsten Dingen entzünden konnte. Ich wusste
nicht, was der tiefere Grund dafür war, aber ich hatte meine Vermutungen. Vor
unserer Geburt waren Mutter und Vater so etwas wie Stars in Dublins
Theaterszene gewesen, natürlich nicht als professionelle Schauspieler, aber
jeder kannte sie. Später schien zwischen Mutter und Bel irgendeine Art von
Showbiz-Rivalität entstanden zu sein. Was komisch war, denn in den ersten
Jahren, als Bel noch zur Schule ging, hatte Mutter ihre schauspielerischen
Ambitionen sehr gefördert. Das hatte sich dann geändert, warum auch immer.
Plötzlich, praktisch über Nacht, schien sie ihr diesen Ehrgeiz zu verübeln.
Plötzlich nervte sie Bel mit mehr Kommentaren und Ratschlägen, als diese
vertragen konnte. »Jede große Schauspielerin hat einen inneren Kern, der den
Ursprung jeder ihrer Darbietungen bildet«, sagte sie zum Beispiel. Die meisten
ihrer Aussprüche hatten diesen metaphysischen Touch. »Dein Problem ist, dass du
deinen inneren Kern noch finden musst.«
Ich
vermutete, dass dies die Quelle der Feindseligkeit war. Angefangen hatte es
schon, bevor Vater krank wurde. In den Monaten nach seinem Tod verschlechterte
sich die Lage so, dass die beiden praktisch aus nichts einen Streit anzetteln
konnten. Mutter beschuldigte Bel, Dinge zu vergessen oder zu vernachlässigen,
warf ihr Egoismus, Narzissmus, Treulosigkeit und Hinterlist vor. Anfangs war Bel
so überrascht, dass sie es einfach hinnahm. Später, als alles, was sie tat,
Kritik von oben hervorrief, begann sie zurückzuschlagen. Wenn sie sich verletzt
fühlte, schrie und kreischte sie so lange jede nur erdenkliche Beleidigung
heraus, bis jeder das Weite suchte. Ihre Streits wurden sehr schnell hässlich.
Als ich an einem Abend vor etwa sechs Monaten nach Hause kam, stand Bel mit
nahezu farblosem Gesicht in der Halle. Ihre Hände zitterten, Mutter war
nirgendwo zu sehen. Sie wollte mir nicht erzählen, was passiert war. Sie sagte
nur, dass Mutter nach einer ausführlichen Unterredung zugegeben habe, nicht
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