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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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ganz effiziente Energie, richtete
sich das Haar, suchte zwischen den Laken nach einem Strumpf, unmöglich, da
angemessen Widerspruch einzulegen.
    »Wie
willst du überhaupt nach Hause kommen, hier gibt's keine...«
    »'tschuldige,
Charles, gib mir doch das da mal rüber...«
    »In der
Gegend kriegst du nie ein Taxi. Außerdem kannst du hier in so einem Kleid
sowieso nicht auf die Straße.«
    »Ich weiß
mir schon zu helfen. Machst du mir bitte den Reißverschluss zu?«
    »Nein«,
sagte ich. Das hatte zumindest den Effekt, dass sie für einen Augenblick
innehielt. Sie drehte sich um und schaute mich an.
    »Bleib,
bitte. Es ist doch sowieso schon fast Tag. Warum willst du nicht dableiben?«
    »Ich kann
nicht, Charles«, sagte sie mit einem nur winzigen Hauch von Unmut. »Wir treffen
uns um neun mit den Telsinor-Leuten, wir wollen eine Strategie ausarbeiten. Das
ist ein großer Tag, und da will ich fit sein.« Sie hob herausfordernd den Kopf
und musterte mich auf fast neckische Weise. Dann setzte sie sich auf den Rand
der Matratze und legte eine Hand auf meinen Unterarm. Kühl zog ich ihn weg. Sie
schien ehrlich überrascht zu sein. »Ich dachte, das wäre geklärt«, sagte sie.
»Ich dachte, wir sind uns einig.«
    Ich schürzte die Lippen. »Na ja, vielleicht doch nicht«,
sagte ich. Ich kam mir vor wie ein dummer Junge, den man reingelegt hatte. Mirela
seufzte, rieb sich die Hände und schaute hinunter auf den kalten Stumpf ihrer
Prothese. »Wir hatten doch ein paar schöne Stunden, oder nicht? Aber jetzt muss
jeder wieder sein eigenes Leben leben. Das weißt du.«
    Ich stand
auf und stapfte im Zimmer herum. »Aber du ... du ...«, sagte ich aufgeregt. »Du liebst ihn doch gar nicht.«
    Wenn ich
einen Kübel Eiswasser über ihr ausgekippt hätte, hätte sie nicht kühler
reagieren können. Die Raumtemperatur fiel spürbar. »Ich habe nie gesagt, dass
das etwas mit Liebe zu tun hat.« Ihre Stimme klang so unpersönlich wie die
einer Klavierlehrerin, die die stockenden Tonleitern eines Schülers moniert.
»Wen oder was ich liebe, ist meine Sache. Ich habe gesagt, dass ich ihn
brauche. Charles, setz dich bitte.«
    »Ihn brauche? Für so was
gibt's auch noch ein anderes Wort.« Als wäre unsere kleine Szene noch nicht
vollkommen, als müsste sie zum Abschluss noch richtig eklig werden, war von der
Haustür ein betrunkens Hämmern zu hören. Droyd hatte mal wieder seine
Schlüssel vergessen.
    Mirela
griff hinter sich und machte den Reißverschluss zu. Dann stand sie auf und zog
mich nah zu sich heran. »Ich hab's dir doch erklärt«, sagte sie. »Ich hatte ein
früheres Leben. Aber das gibt es nicht mehr. Alles, woran ich mich erinnere,
existiert nicht mehr. Und die Welt hat daneben gestanden und hat nichts getan.
Von meiner Heimat ist nur eine einzige Sache übrig, Charles, hier, schau genau
hin!« Sie zog ihr Kleid hoch, und die grobschlächtige Metallschiene und das
zerkratzte, versengte Stück Holz kamen zum Vorschein. Sprachlos starrte ich es
an, dann schaute ich ihr ins Gesicht. Nach außen machte sie einen gefassten
Eindruck. »Verstehst du denn nicht, Charles?«, sagte sie leise. »Muss ich's dir
vorbuchstabieren? Nichts von all dem ist mir wichtig. Nicht deine Schwester,
nicht das Haus, in dem du aufgewachsen bist. Ich werde als Schauspielerin in
dem Theater auftreten. Und wenn sie wollen, dann werde ich von Plakatwänden
runterlächeln. Ich werde um den Erfolg kämpfen. Aber nichts davon bedeutet mir etwas.
Wenn ich mir die Leute um mich herum anschaue, dann sehe ich nur eins: kleine
Pappfiguren in einem Brettspiel.«
    Sie
tätschelte meine Hand. Wie paralysiert begegnete ich dem milden Ausdruck dieser
fremdartigen blauen Augen. Irgendwo weit, weit weg ging das Hämmern wieder los.
»Willst du nicht aufmachen?«, sagte sie.
    Wie in
Trance stand ich auf, warf mir meinen Morgenmantel über und ging ins
Wohnzimmer. Die Tür vibrierte. »Ja, ja, schon gut, verdammt noch mal...«
Fluchend machte ich die Tür auf. »Oh«, sagte ich.
    »Kann ich
reinkommen?«, sagte Bel.
    Das konnte
unmöglich wahr sein. »Ah...« Ich kratzte mir mit dem Fingernagel die
Unterlippe. »Ja, weißt du, eigentlich passt mir das jetzt überhaupt nicht in
den ...«
    Aber sie
war mit ihrem Koffer im Schlepptau schon an mir vorbeigewankt. »Es ist ja
stockdunkel«, verkündete sie. »Wie kannst du da überhaupt was sehen?«
    Ich
schluckte und wischte mir am Morgenmantel die Hände an. »Nun ja, das ist weil
... Weißt du eigentlich, wie spät es

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