Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
hockst du dich jetzt hin?«
» Ja, Mutti, wenn es nicht so wackeln würde. Nicht, dass wir kentern.«
Das erinnert mich an den vergangenen Sommer, da habe ich mit meiner Ex-Kim in einem Schlauchboot vor Holland gepaddelt. Plötzlich pfiff die Luft aus dem Boot, und wir sind ins Meer geplumpst.
Ich muss mich schon wundern, dass ich das nicht als dunkles Vorzeichen gedeutet habe. Anschließend haben wir uns in den Dünen gegenseitig aus den nassen Klamotten geschält und spontan geliebt. Also bitte, wie hätte ich da an ein böses Ende denken sollen?
Der alte Mann müht sich mit den Paddeln ab, unser Boot quält sich schlingernd durch den Fluss. Die schroffen Felswände ragen unmittelbar neben uns steil auf. Sie scheinen bedrohlich näher zu rücken, und schwupps, im nächsten Moment wird unser Boot vom Schwarz einer Grotte geschluckt. Ich würde es nicht laut sagen, aber ein wenig stolz bin ich dennoch, wie ich hier mit Mutti sitze. Sie wirkt fast wie eine Galionsfigur. Ihre hellgrauen Haare liegen heute wieder gut, für ihre 66 Jahre ist sie wirklich noch flott.
» Andi, vorhin beim Einsteigen hast du kurz gezögert. Wolltest du gar nicht mit mir ins Boot?«
» Doch, klar.«
» Du kannst mir das ruhig sagen. Ich bin ja auch froh, euch Kinder nicht ständig um mich haben zu müssen. Die anderen sind auch alle so nett zu mir.« Bestärkend rückt sie sich die Sonnenbrille zurecht.
» Hello, Europe!« Von den Nachbarbooten jubeln jugendliche Asiaten Mutti zu, viele von ihnen sind blondiert. Sie mögen die westliche Kultur, hat uns Toni erklärt. Ich wiederhole es kopfschüttelnd.
» Mit unseren größeren Nasen und Ohren und der weißen Haut entsprechen wir ihrem Schönheitsideal.«
» Andi, Selbstbräuner gibt’s in Vietnam bestimmt nicht.«
Ich nicke matt. Sie winkt den Teenies lächelnd zurück, huldvoll geradezu, die »Weiße Massai« Asiens.
» Wie verblüffend, so weit weg von Deutschland als attraktiv zu gelten. Dabei sehen wir doch aus wie immer. Junge, was wir hier für Chancen haben! Die sollten wir nutzen. Also, du auf jeden Fall.« Manchmal plappert Mutti munter drauflos, ohne zwingend eine Antwort zu erwarten. Wobei ich ihr in diesem Fall auch keine geben könnte. Denn irgendwie besser fühle ich mich als angeblich schöner Europäer keineswegs. Schon gar nicht, wenn mich die Teenies nur deshalb gerne ansehen, weil ich rumlaufe wie Dumbo.
Ein anderes Boot nähert sich geräuschvoll von hinten.
» … will der Besserwisser zur Sportschau zurück sein? Dann ruder doch selber, wenn’s dir zu langsam geht!«
» Ist doch wahr. Mit dem Tempo wäre die Titanic heute noch nicht am Eisberg. Längst geschmolzen wäre der!«
Ah, Mechthild und Kurt.
Zwei Stunden später will ich Mutti aus dem schwankenden Boot helfen.
» Lieb von dir, ich schaffe es allein.« Sie geht an Land.
Auch Jana und Sven sind nur noch 20 Meter hinter uns. Sie kichern. Vielleicht ist die Gelegenheit jetzt günstiger, ich warte einfach an der Anlegestelle. Während ich ihr Bootsseil am Ufer festmache, giggelt Jana weiter.
» Ja, ich mag Tattoos. Hast du noch mehr?«
» Yep. Aber ich sage nicht wo.« Gut so, Sven, das wäre zu viel Information. Als sie aussteigen, sehe ich meine Chance gekommen.
» Jana, schau mal, meine schöne weiße Haut …«
» Hier, Schiffsjunge, eine kleine Anerkennung.« Sven drückt mir ein paar Münzen in die Hand und haut mir jovial auf den Rücken.
Ist okay, er macht ja nur Spaß. Aber ich will ihre Aufmerksamkeit. » Hey, Jana, ich …«
» Warte, ich muss eben die Gruppe einsammeln.« Wie eine Gazelle hüpft sie an Land. Wie ein Ochse glotze ich ihr hinterher. » Hier entlang«, ruft Jana den anderen zu.
Bin ich denn so ein Karma-Krüppel?
Von der Anlegestelle führt ein karger Kiesweg einige hundert Meter ins Landesinnere. Antje, die sich flott umgezogen hat, läuft in Sportklamotten vorneweg. Um einen Hügel herum gehen wir auf einen Gebetstempel zu. Am Gemäuer angekommen, irritieren uns Hakenkreuze, die kein Graffiti sind.
» Die Nazis haben dieses ursprünglich buddhistische Symbol geklaut. Es hat auch die Bedeutung von ›unvergänglich, immerwährend‹«, erläutert Jana.
» Na, dann passte es ja bestens zum Dritten Reich«, murmelt Kurt sarkastisch.
Die Pagode schmiegt sich nicht nur an den Fels, sie steigt auch mit dem Berg an. Im Innern führen schummrig beleuchtete, glitschige Treppen an meterhohen Buddha-Statuen vorbei.
Wieder versuche ich, mit Jana ins Gespräch zu
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