Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
ereifern, wenn es mir im Urlaub zu »deutsch« wird.
Eine pulsierende Verkehrsader strömt unseren Bus aus dem Herzen der Stadt. Im Randbezirk fallen mir viele Riesenkräne und Rohbauten auf, die anzeigen, dass Saigon unaufhaltsam weiter wächst.
Ich lese in Antjes Reiseführer. Nein, eigentlich blättere ich nachdenklich darin herum. Die letzte Seite ist leer und »für Notizen« gedacht. Dort könnte ich hinschreiben, dass ich Jana eine echte Chance geben will, wenn sie sich zukünftig stärker ins Zeug legt.
Ach nee, es ist ja Antjes Reiseführer. Außerdem klingt das so, als müsse sich Jana erst noch qualifizieren. Was für ein Mega-Mumpitz!
Heißt das, dass ich verliebt in sie bin? Tatsächlich, bin ich das? Darf das überhaupt sein? Ich meine, warum stehe ich nur so auf sie? Weil sie die Reiseleiterin ist, Chefin und Vorturnerin? Quasi der »Skilehrer-Effekt«? Nein. Weil sie die Jana ist. Da vorne sitzt sie, mit lachenden Augen, Sommersprossen um die Stupsnase und Haarspitzen, die ihre Wangen streicheln.
Als ich die letzten Ausläufer der Metropole nur noch von weitem durchs Heckfenster sehe, halten wir an einem dieser ländlichen Straßen-Cafés, die improvisiert wirken, weil sie notdürftig aus Holz und Metall zusammengezimmert sind. Kaum hat Mutti den Bus verlassen, spielt sie mit Walter Fangen. Was soll das denn jetzt?
Wie ein kleines Mädchen läuft sie vor ihm weg. Allerdings nur so weit, dass er sie noch kriegen kann. Natürlich ist mir Walter lieber als jeder Österreicher und sowieso als jeder Chinese, aber dürfen Senioren so einen Kinderkram veranstalten?
» Autsch!«
Einige Meter entfernt hält sich Mutti die Hand an den Kopf. Wenn man einmal nicht nach ihr guckt! Ich renne zu ihr.
» Tut’s weh?«
» Nein. Ich habe mich nur nicht rechtzeitig geduckt.«
Sie ist mit dem Kopf ans Wellblechdach des Cafés gestoßen, die Platzwunde färbt ihr blutrote Strähnchen in die Haare. Herrje, Übermut kommt vor dem Knall.
Zum Glück hat Mutti tatsächlich keine Schmerzen, und Jana versorgt sie aus dem Verbandskasten im Bus. » In der nächsten Stadt lassen wir dich vorsichtshalber untersuchen!«
Selbst bei einer Hiobsbotschaft klingt ihre Stimme wie eine Harfe, deren sanfter Klang in einer Muschel hallt.
» Wieso soll ich sie nicht begleiten?«, beschwere ich mich.
» Weil Kristin und ich mitkommen, ist schon in Ordnung«, beschwichtigt Antje.
Die beiden sowie Toni begleiten Mutti in die Klinik in May Tho, ich muss also bei der Gruppe bleiben. Um die Mittagszeit besuchen wir mit den anderen wie geplant die Pagode Vinh-Trang. Wir sind die einzigen Besucher überhaupt, eher gruppendynamisch als begeistert schleichen Kurt und ich hinter Jana her. Okay, es ist Jana, und im weißen Qualm, der aus dem mit Ornamenten eingefassten, seitlichen Tor weht, wirkt sie wie eine Elfe. Sie ist einzig, aber die Pagode ist die soundsovielte!
» Nun kommt schon, Jungs, ich will euch das Hauptheiligtum zeigen!«
Der bessere Lockruf wäre gewesen: Ich will euch die Hauptspeise zeigen! Schlurfend ziehe ich meine Beine durch den Kies. Ich könnte mich einfach bockig auf den Boden werfen, was aber keine charakterliche Meisterleistung wäre, und Jana würde mich für kindisch halten.
Am Tempeleingang bückt sich Kurt, öffnet seine Schnürsenkel und knurrt lakonisch: » Schuhe an, Schuhe aus … wieder für so ein Gold-Gedöns.«
Ich gebe meinen inneren Widerstand auf, als ich mich an das kleine Saigoner Mädchen erinnere, das Mutti und mir erzählte, Pagoden würden familiäres Glück verströmen. Dieses Glück kann ich gerade ganz gut gebrauchen.
Na, das strahlt ganz bestimmt auch nebenan auf den Andenkenladen ab.
» Psst, Kurt, hier rüber.«
Genau genommen stehen da ja dieselben Dinge wie im Tempel: Bilder, Statuen, glänzendes Allerlei. Nur eben in handlich und zu kaufen. Zwischen dem feinen weißen Nebel von Duftkerzen und Räucherstäbchen sinniere ich: » Wo ein Souvenirshop steht, da ist schon mal ein Tourist vor dir gewesen.«
Was für ein Glück, es war tatsächlich nur eine Platzwunde, die genäht werden musste, das hätte weitaus schlimmer kommen können. Mutti und die anderen warten bereits vor dem Krankenhaus, in dem die Behandlung nur vier Euro gekostet hat. » Kinder, das wollte ich nicht runterhandeln.«
Ich bin erleichtert. » Das hätte echt böse ausgehen können, Mutti.«
» Ach was, ich flirte doch nicht mit dem Friedhof.«
Sie steigt mit einem kleinen Kopfverband in den Bus.
Weitere Kostenlose Bücher