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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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meine Bilder nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten. Sie sind stets da und blicken mir über die Schulter. Tod und Wiedergeburt, das ist der Ursprung der Kunst.«
    Francescas brüchige Stimme erlosch so plötzlich, dass ich fast das Gefühl einer schmerzlichen Leere empfand. Die Sonne sank; es war fast dunkel im Zimmer. Zu dunkel, fand mein Vater, der aufstand und Licht machte. Der Kronleuchter flammte auf. Scharfe Schatten regten sich auf Francescas Gesicht; aus ihren Augen aber strahlte noch so viel Feuer. Das Feuer hatte mich am Anfang erschreckt. Heute wusste ich, es war ein starkes, gutes Feuer. Ich glaubte auch zu verstehen, warum sie mir die Muschelseide überlassen hatte: Es war ein Vermächtnis, ein Erbe. Das wechselfarbige Gewebe bildete ein Zeichennetz, in dem auch ich verwoben war. Das freie Spiel der Erinnerung, der Phantasie und der Gefühle weckt Traumvisionen. Sie sind eine Sprache, die mit geschlossenen Augen geschrieben und gelesen wird.
    Kazuos ruhige Stimme brach das Schweigen.
    »Dann haben Sie also nie erfahren, was aus Hatsue und Shinzo geworden ist? «
    Francesca schüttelte den Kopf.
    »Es war unmöglich, irgendwelche Personalakten aufzutreiben. So viel Zeit lag dazwischen. Auch der Krieg. Und am Ende habe ich eingesehen, dass man Menschen, die man nie zu Gesicht bekommt, einfach ... erfinden kann. Dass es auch eine Art und Weise sein kann, sie zu sehen ... «
    Er antwortete eine ganze Weile nicht, bevor er nachdenklich sagte:
    »Vielleicht gibt es etwas, das ich für Sie tun kann.« Sie erwiderte überheblich seinen Blick.
    »Ich für meinen Teil wüsste nicht, was. Aber wenn Ihnen etwas einfällt ...«
    Er lächelte herzlich.
    »Internet«, sagte er.
    »Internet!«, rief sie geringschätzig. »Das bringt doch nichts.« »Ach, glauben Sie das wirklich, Francesca?«
    Er nannte sie zum ersten Mal bei ihrem Vornamen. Sie stutzte ein wenig, bevor sie sagte:
    »Jeder Mensch hat seine schwachen Punkte. Wenn ich daran denke, wie oft ich versucht habe, damit zurechtzukommen! Ich habe nicht die Geduld. Eine Frage des Alters, nehme ich an. Entweder male ich Bilder oder surfe im Internet. Sie meinen also, damit könnten Sie ...«
    »Ich meine«, sagte er, »dass ich es zumindest versuchen kann.«
    Ein sonderbarer Ausdruck legte sich auf Francescas Gesicht, ein Ausdruck hochmütiger Besserwisserei.
    »Nun, ich sage durchaus nicht nein. Wenn Sie sich etwas davon versprechen ... «
    » Die Informationen müssen ihren Weg zu den richtigen Leuten finden, das ist der ganze Trick bei der Sache. Außerdem bin ich Japaner, dies ist immerhin ein Vorteil. Und ich habe einen Computer, was Ihr Herr Otani damals nicht hatte. Wenn Sie mir also Vertrauen schenken ... «
    Francesca lächelte plötzlich. Ihr Lächeln, gleichsam verschmitzt, abgeklärt und müde, ließ mich mit einem Mal an das von Cecilia denken, als sie noch ein kleines Mädchen war und den Tennisschläger in der Hand hielt. Mir kam in den Sinn, dass es bestimmt Gaetano gewesen war, der das Bild aufgenommen hatte. Einen Atemzug lang fühlte ich mich in jene Zeit zurückversetzt, in jene glücklichen Tage, bevor Unschuldige in schreckliche und unbegreifliche Ereignisse hineingerissen wurden. Der Gegensatz zwischen dem Leuchten des kleinen Mädchens und dem grauenvollen Tun, das jene Zeit bereits in ihrem Keim trug, erfüllte mein Herz mit schmerzlicher Wehmut. Doch schon sagte Francesca in ungewöhnlich energischem Ton:
    »So gaga bin ich nicht, dass ich keine Menschenkenntnis mehr hätte. Sie wissen, dass ich Ihnen vertraue.«
    »Das weiß ich, Francesca«, erwiderte er ernst. »Ich muss Sie nur um etwas Geduld bitten.«
    Ihre Zigarettenspitze beschrieb eine wegwerfende Geste in der Luft.
    »Was ist schon Geduld? Ich hatte mein Leben lang Geduld.«
    Ein kleines Lächeln zuckte um Kazuos Mundwinkel. »Dann macht es Ihnen gewiss nichts aus, noch ein Weilchen zu warten.«
    Sie hob ihre Zigarettenspitze an den Mund.
    »Es macht mir nichts aus«, erwiderte sie leichthin. »Ich habe sowieso anderes zu tun. Aber wenn Sie etwas erreichen, wird Ihnen Herr Otani aus dem Jenseits dankbar sein! Ach Gott, der arme Mensch! Was habe ich ihm die Hölle heiß gemacht!«

34. Kapitel
    W ie willst du vorgehen?«, fragte ich Kazuo, als er seinen Laptop einschaltete. »Es ist doch ziemlich kompliziert, oder?«
    »Es gibt Daten und Fakten, die ich verwenden kann. Leider kann ich nicht verhindern, dass Neugierige sich einmischen, und natürlich wird es

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