Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
Restaurantschiff wie der Volga Volga , mit der Levi und ich in Sankt Petersburg über die Newa geschippert sind, den Fluss, der durch Sankt Petersburg fließt und die vielen kleinen Kanäle speist, die Peter der Große hat anlegen lassen, um ein zweites und besseres Venedig zu bauen.
Gelbsucht: Wie belastbar ist unsere Suche?
Auf der Volga Volga hatten Levi und ich Elena kennengelernt, eine Reise- und Eventunternehmerin aus Sankt Petersburg, die gerade die Hochzeit eines französischen Millionärs mit einem russischen Model organisiert hatte und sich zur Feier des erfolgreichen Festes mit der Volga Volga selbst belohnte. Da die Newa mir täglich Lust auf das Meer machte, fragte ich Elena nach ihrer Empfehlung für die nahen Ostseestrände. Ohne nachzudenken, empfahl sie den Strand von Repino. Dort gebe es das Makarel , ein Strandbudenrestaurant, das uns sicher gefallen würde. Ihre Augen lachten dabei verschwörerisch. War ich so leicht zu durchschauen? Oder stand dort im wehenden Wind und mit dem Winterpalast im Hintergrund eine Seelenverwandte?
Als Markus, Levi und ich drei Tage später ein Taxi bestiegen und voller Vorfreude »Repino« sagten, vertiefte sich der Fahrer für zehn Minuten in einen Straßenatlas. Nach 40 Minuten Fahrt, während der das Wetter achtmal wechselte – Sonne, Regen, Wolken, Sonne, Regenguss, Wolken, Wolkenbruch, Sonne –, normales Sankt Petersburger Wetter also, saßen wir mit den Füßen im Sand und Blick auf eine Bucht so groß wie der Bodensee vor blau-türkisem Wasser. Kein Wind. Keine Wellen. Am gegenüberliegenden Ufer meinte ich eine Kuppelkathedrale erspähen zu können, die mich sofort aufforderte, sie doch beim nächsten Russlandbesuch von Nahem anzuschauen.
Wir aßen Fisch, Tintenfisch und Garnelen – einfach gegrillt, aber beste Zutaten, so wie ich es am liebsten mag. Wir tranken Weißwein und bauten Sandburgen, als Elena auftauchte und uns Peter, ihren Lebensgefährten, vorstellte. Peter ist Manager in einem Energiekonzern und investiert ansonsten in interessante Geschäftsideen. Zum Beispiel in Elenas Touristikunternehmen. Elena hat aus erster Ehe einen 29-jährigen Sohn. Der arbeite derzeit in China und fühle sich einsam. Elena und Peter reisen viel gemeinsam. Lachend stellten wir fest, dass wir vier nicht nur zahlreiche Orte in Südamerika, Asien oder Europa gleichermaßen gut kannten, sondern auch von denselben Strandbuden, Restaurants und Ecken zum Einfach-nur-Rumhängen schwärmten. Peter und Elena lieben Brasilien besonders und planten, in diesem Jahr in der Normandie zu überwintern. Beide waren noch nicht mit der Transsibirischen Eisenbahn gereist und hatten es auch nicht vor. Sie reisten generell nur aus beruflichen Gründen durch Russland und nur mit dem Flugzeug. »Mutig«, sagten beide, als ich erklärte, dass Markus uns nicht weiter begleiten, sondern uns erst wieder in der Mongolei besuchen würde.
»Du reist sicher in diesem Luxuszug, wie heißt der doch gleich?«, hatte Peter gefragt.
» Zarengold «, sagte Elena.
»Ja«, log ich, weil ich Angst davor hatte, dass Peter mir mit Horrorgeschichten aus der normalen, nicht für touristische Zwecke gebauten Transsib mein Vorhaben, kurz bevor es richtig losging, madig machen könnte.
Die beiden nahmen uns in ihrem Jeep mit zurück nach Sankt Petersburg und luden uns zu einer Sundowner-Fahrt auf ihr kleines Holzboot ein. Sie zeigten uns die Insel Neuholland in der Nähe des Mariinskitheaters. Roman Abramowitsch hatte die Insel gekauft, erfuhren wir. Und Sir Norman Foster baut sie für ihn in ein Shopping-Erlebniscenter um.
Das Abendlicht tauchte das Venedig Russlands in einen goldenen Farbtopf. Levi schnarchte zufrieden im Maxi-Cosi. Irgendwann zwischen Plaudern, Staunen und Schweigen checkte ich zum wiederholten Mal Levis Atem und seine Körpertemperatur, und mir wurde kalt. Ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Die Haare in seinem Nacken waren nass. Seine Stirn fühlte sich heiß an. Levis Haut schimmerte gelblich. Gelbsucht, schoss es mir sofort durch den Kopf. Ich setzte mich hin. Gelbsucht hat doch was mit mangelnder Hygiene zu tun? Sofort fielen mir die zahlreichen Male ein, die ich ihn im Hotelbad hatte herumkrabbeln lassen. Sich an der Toilette in den Stand zu ziehen war sein Lieblingssport. Bei geschlossener Toilette natürlich. Meistens. Wenn er Gelbsucht hat, blase ich die Reise ab, dachte ich. Alle weiteren Reisen. Nie wieder Abenteuer. Der arme klei-ne Kerl. Mein schlechtes
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