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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
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sicherheitshalber an.
    Tara begrüßt uns mit Tee, einer Pralinenschachtel und Keksen. Ihr Couchtisch mit der weißen Tischdecke mit Spitzenrand erinnert mich an die Besuche bei meiner Oma in den Siebzigerjahren, wäre da nicht die ein Meter zwanzig hohe schwarze Lautsprecherbox. Den Tee braut Tara auf eine Art, die mir bisher unbekannt war: Sie mischt den Inhalt zweier Kannen: Eine davon ist randvoll mit in kaltem Wasser herumwabernden aufgequollenen Teeblättern, in der anderen befindet sich heißes Wasser. Das von außen als Holzchalet getarnte Gebäude ist im Innern mit rotem Teppich und dunklem Furnierholz ausgestattet. An den Balkonen fehlen zum Teil noch die Geländer, und der See ist nur von der Haustür aus zu sehen.
    Wir checken in das gebuchte Baikalchalet gegenüber ein, das Tara zwar nicht gehört, aber von ihr bewirtschaftet wird. Es liegt auf einem Hügel, weit oberhalb des ersten Chalets, und besteht auch innen zu 100 Prozent aus gemütlichem Echtholz – Holzwände, Holzboden, Holzbett, Holzschränke. Von meinem Holzbalkon aus habe ich ein durch zwei steile Bergflanken dreieckig gerahmtes Blickfenster auf meinen neuen Begleiter: den Baikalsee.
    Duschen wird überbewertet
    Nachdem Levi aufgewacht ist, laufen wir los. Vor zum See: eiskalt, mehr als 1500 Meter tief, glasklar, voller blau-weißer Fischkutter. Der Baikalsee enthält geschätzte 20 Prozent des kompletten Süßwasservorkommens der Erde. Der See könnte die gesamte Weltbevölkerung vierzig Jahre lang mit Frischwasser versorgen, lese ich Levi aus dem Reiseführer vor. Vor jedem zweiten Haus räuchert jemand Fisch in einfachen, manchmal verrosteten, oft zerbeulten Metallkästchen am Straßenrand.
    Der Strand besteht aus hellen Kieselsteinen. Menschen sitzen auf dem Boden oder auf zum Strandkiosk gehörenden Plastikstühlen, trinken Bier, essen Fisch und lachen. Fischkutter landen, Menschen gehen von Bord, andere steigen ein und stechen in See zu einer kleinen Rundfahrt. Zwei Männer auf Jetskiern machen Krach und ziehen die Blicke zweier junger Frauen auf sich, die im Kiesel sitzen, ihre Schuhe ausgezogen haben und sich eine Flasche Wodka teilen. Eine schlanke große mit langen braunen Haaren, Cavalli-Jeans und 15-Zentimeter-Absätzen. Die andere, etwas dicklich, mit blonden Locken, in engen Jeans, weißen Fransenstiefeln und Fellweste. Beide tragen riesige Fliege-Puck-Sonnenbrillen. Eine von Prada, die andere von Gucci.
    Levi und ich setzen uns hinter den Mädels in eine wandlose Kabine mit Holztisch, zwei Holzbänken rechts und links und einem kleinen Holzspitzdach. Die Brünette versteckt sich hinter unserem sibirischen Strandkorb, zieht ihr graues T-Shirt aus und streift ein frisches, ebenfalls graues T-Shirt über. Sie fragt mich, was ich davon halte, und ich recke den Daumen nach oben, obwohl ich zwischen den beiden Shirts nicht wirklich einen Unterschied erkennen kann. Dann schält sie sich mit gespielter Anstrengung aus der hautengen Jeans, bindet sich, als die Hose noch auf Kniehöhe steckt, eine Strickjacke als Minirock um, taumelt, hüpft auf einem Bein, lacht und findet ihr Gleichgewicht wieder, indem sie sich mit einem Hechtsprung an eine Holzlatte unseres Strandkorbes rettet. Sie fängt an, mit Levi zu flirten. Die blonde Freundin holt drei Bier, und wir schauen gemeinsam auf den See.
    Verdammt mädchenhaft und natürlich für stark geschminkte junge Frauen im Tussenoutfit. Ich denke an meine Wegweiserin aus Sankt Petersburg, von der ich bis heute nicht weiß, ob sie eine Studentin oder eine Prostituierte war. Ist ja eigentlich auch egal.
    Ein Boot legt ab, die Mädels springen auf und winken dem Kapitän hinterher. Sie rufen etwas, erst freundlich, dann freundlich fluchend. Von beidem zeigt sich der Kapitän unbeeindruckt: Er kommt nicht zurück. Die beiden holen sich noch ein Bier, ich lehne dankend ab. Das war das letzte Boot für heute, sagen sie und ziehen lachend und hüpfend davon Richtung Hafen von Listwjanka, auf der Suche nach einem Transportmittel nach Irkutsk.
    Und als Levi und ich wieder allein in unserem sibirischen Strandkorb sitzen, muss ich plötzlich loslachen. Levi schaut mich an und lacht mit.
    »Der Zug hat uns reingelegt«, erkläre ich meinem auf und ab hüpfenden Sohn. »Obwohl wir es hätten wissen müssen.« Levi klatscht in die Hände.
    Die letzten Tage im Zug haben wir nach Moskauer Zeit gelebt, die identisch mit der Sankt Petersburger Zeit ist. Die sechs Zeitzonen ignorierend, durch die uns der Ex-

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