Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
Mann etwas, das wie »Tickjetski« klingt, und deutet auf die Touristeninformation. »Njet Tickjetski« , entgegne ich, während ich ebenfalls auf die Touristeninformation zeige, und ziehe ein Bündel Rubel aus meiner Hosentasche: »How much?«
Eine Frau der russischen Gruppe redet mit dem Mann, lächelt mich dann an, zieht 500 Rubel aus meinem Bündel und gibt sie dem Bootsbediensteten. Der meckert leise auf Russisch und lacht mich mit zwei fehlenden Schneidezähnen an, woraufhin ich ihm 1000 Rubel gebe und ein Ticket in Form eines Prankenhiebs auf meine rechte Schulter bekomme.
Das Boot legt ab, und erleichtert mache ich mich auf die Suche nach einem Kiosk, um meinen russischen Rettern eine Flasche Wodka und Schokolade zu spendieren, als ich im Inneren des Bootes die deutsche Reisegruppe aus unserem Chalet und ihren russischen Führer ausmache. Ich denke, das ist die Chance, etwas über die uns bevorstehende Tour zu erfahren, als mich mein Ticketverkäufer am Arm packt und seine Hilfe anbietet. Wofür auch immer. Ich sage »Wodka« und »Schokolade« und zeige auf die Gruppe draußen, woraufhin er erneut mit seiner Zahnlücke angibt. Ich gebe ihm 1000 Rubel und bekomme wenige Momente später eine etikettfreie Flasche und zwei Tafeln russischer Schokolade. Kurz zweifle ich, ob ich das Selbstgebraute als Geschenk weiterreichen darf, als der Bootsmann mir seine Pranke erneut auf die Schulter legt, Levi mit der anderen Hand die Nase stupst und mich bittet, kurz hier zu warten. Zumindest verstehe ich ihn so. Also warte ich, während wir den Hafen hinter uns lassen und die Fahrt unruhiger wird. Levi lacht kurz auf, als ich, um eine Welle auszugleichen, nach rechts hüpfe, und die Aufmerksamkeit der Reisegruppe ist uns sicher. Ich winke ihr zu und nehme grinsend den Becher, den der Bootsmann mir unter die Nase hält, stoße mit ihm an, verbrenne mir den Rachen und kann nicht verhindern, dass der Bootsmann mit freundlich-senilem Blick beginnt, einen begeistert quiekenden Levi mit Keksen zu füttern.
Die deutsche Reisegruppe hat sich mittlerweile aufgelöst: Zwei Frauen sitzen innen rechts am Fenster, ein Mann innen links, der Reiseleiter ist derzeit nicht zu sehen, und das Paar hat es sich draußen auf unserer Bank bequem gemacht.
»Mir geht der Igor auf die Nerven. Der behandelt uns wie Schulkinder. Wir müssen gehorchen, und er hält seine Monologe«, höre ich die eine Frau am Fenster zur anderen sagen.
»Sollen wir heute Abend mal ohne die anderen in ein Restaurant gehen?«, fragt die Sitznachbarin zurück.
»Wohin denn?«
»Weiß nicht.«
»Mal ohne Herbert wär sicher nicht schlecht. Der flirtet immer so blöd mit mir!«, flüstert die eine.
»Aber Julius und Christine sind dann bestimmt sauer.«
»Stimmt auch wieder.«
Irgendwann gehen dem Bootsmann die Kekse aus, und ich geselle mich nach draußen zu den Russen und überreiche die Dankesgaben. Erst meinen sie, dass das doch nicht nötig sei. Als ich zum 148 000. Mal den Wodka und die Schokolade anbiete, greifen sie endlich zu, zaubern kleine Plastikbecher aus ihren Jackentaschen und laden mich zu einem echten russischen Wodkapicknick ein, wobei ich mich mit einem Blick auf Levi auf ein Schokoladengemetzel beschränke. Gemeinsam blicken wir zurück auf Listwjanka, das von birkenvollen Hügelketten erdrückt zu werden droht, und in Fahrtrichtung auf steil emporragende schneegekrönte Felsketten.
»Eigentlich würde ich morgen gerne mal ausschlafen«, höre ich den deutschen Reisegruppen-Mann zu seiner Frau sagen.
»Ich auch!«, antwortet diese mit einem Seufzer.
Nach einigen Minuten des Schweigens sagt die Frau: »Es ist so schön hier draußen, mit dem Wind und den Wellen!«
»Ja, so ruhig!«
Gerade schmiegt die Frau ihren Kopf an die Schulter des Mannes, als Igor, der Reiseleiter, in der Tür erscheint und sagt: »Kommt doch bitte rein zu den anderen. Ich werde über die biologischen Besonderheiten des Baikalsees berichten!«
»Bestimmt interessant«, sagt der Mann und steht auf.
»Ich bleibe lieber noch ein bisschen hier«, erklärt die Frau, erhebt sich nach einem auffordernden Blick Igors dann doch schwerfällig und lässt Levi und mich wieder allein unter Russen.
Irgendwie droht unsere kleine Kreuzfahrt die deutsche Reisegruppe zu sprengen. Vielleicht einte die Zwangsgemeinschaft aber nie mehr als der gemeinsame Reiseverlauf?
Ich denke an Rita und Sergei. An Sonia, Olga und Katharina. Und an Juri. Wir waren nicht zusammen angereist. Wir
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