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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
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und Holzofen. Einfach und urig. So wie die Menschen hier halt leben. Nicht mit fließendem Wasser für die Toiletten und Elektroheizungen für die im September schon eisigen Nächte.
    Natascha verstummt und lächelt nach innen. Irgendwann schaut sie mich an. Direkt in die Augen und mitten in die Seele. Ich schaue zurück, und mein Blick löst sich auf. Ich fühle mich zu Hause an diesem langen Tisch, mit dieser Frau, dem prasselnden Feuer des Ofens und dem pfeifenden Wind vor der Tür.
    Levi gibt auf, aber für den Rest von uns wird der Abend noch lang. Kurz vor dem Einschlafen denke ich an Olga, Ritas Oma, Tara, die Grande Dame, Nadia und immer wieder an Natascha: »Sibirien bringt starke Frauen hervor«, denke ich und falle in einen tiefen Schlaf.
    Am nächsten Morgen schneit es. Die Flocken tanzen durch die Luft und lösen sich auf, bevor sie den Boden berühren. Ich liege im Bett und kann meinen Atem sehen. Also: Heizung hochdrehen, vorbei an der Ziffer 3 auf dem Heizungsknopf, die mir Natascha als höchste Stufe ans Herz gelegt hat, warum, habe ich nicht verstanden, bis zur 5. Und ein bisschen darüber hinaus. Ich ziehe alles an, was ich dabeihabe, und stecke meine Nase aus der Zimmertür. Alicer schürt das Feuer im Ofen des Esszimmers, und aus der Küche duftet es wie immer köstlich.
    Die Tage vergehen mit kochen, erzählen, durch die Gegend stiefeln und bei unterschiedlichsten Wettern auf den Baikalsee schauen. Ich hätte nichts dagegen, die kommenden Wochen und Monate hier zu verbringen. Plötzlich verstehe ich Menschen, die zu einem dreiwöchigen Urlaub aufbrechen und nach siebzehn Jahren immer noch unterwegs sind. Warum kann ich nicht hierbleiben?
    Ach ja: Mission, Mongolei, Markus. Der zweite Abschnitt unserer Reise rückt näher: noch ein paar Tage Bolschije Koty, dann Irkutsk, danach 36 Stunden Transsibirische Eisenbahn, und dann sind wir auch schon in Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Dort treffen wir Markus und reisen zu dritt weiter. Für ein paar Wochen. Wie das wohl wird? Nach fünf Wochen intensiver Mutter-Sohn-Zeit wieder zu dritt zu sein? Ich freue mich auf Markus, schiebe den Gedanken an ihn jedoch zur Seite, als Nadia mir mit Quark und Rosinen gefüllte Pfannkuchen zum Frühstück serviert. Sollte das Boot den Betrieb wiederaufnehmen, werden wir Bolschije Koty in einigen Tagen verlassen. Wenn nicht, dann nicht. Wandern kommt nicht infrage. Auf gar keinen Fall.
    Tibet am Baikal: Irgendwann ist alles mal vorbei
    Eines Abends komme ich mit Levi von einer Erkundung der Wälder hinter unserem Haus zurück und erfahre von Natascha, dass das französische Paar angekommen sei. Sie sind von Listwjanka hergewandert.
    »Willst du mit ihnen gemeinsam essen oder alleine mit Levi?«
    Am liebsten würde ich mich in der Wohnküche verkriechen, aber alles ist irgendwann einmal vorbei. »Gerne mit dem Paar«, höre ich mich antworten.
    Die beiden stammen, wie fast alle Franzosen, denen ich unterwegs begegnet bin, aus Paris, haben ihre Jobs, die ihnen weder Perspektive noch Anerkennung einbrachten, hingeschmissen und reisen nun für die nächsten zwölf Monate von Paris nach Lhasa. Mit dem Zug. Sie fanden den Gedanken spannend, von dem Bahnhof, der sie seit Jahren ins Büro gebracht hat, in ein neues Leben aufzubrechen.
    »Lhasa ist ein Ort, der mich sehr aufgewühlt hat«, erzähle ich. »Und zu dem ich gerne noch mal zurückkehren möchte.« Pilger, die sich über Wochen und Monate fortbewegen, indem sie sich der Länge nach auf den Boden werfen, die Füße an den Körper heranziehen, sich wieder aufrichten, nur um sich wieder hinzuwerfen. Mit dem Ziel Jokhangtempel mitten in Lhasa. Und dann kommen diese Pilger in Lhasa vorbei an Karaokebars und chinesischen Massagesalons, um ihre letzte Kora um den Tempel zu drehen. Und daneben saß ich in einem starbucksähnlichen Coffeeshop zwischen Souvenirshops und Gemüseläden und beobachtete schwer bewaffnete chinesische Soldaten auf jedem zweiten Dach der Altstadt. Es zerriss mich jeden Tag aufs Neue: Lhasa ist so schön und schrecklich zugleich. Die Pilger sind vermutlich bei sich und in einer Art Trance und nehmen das alles nicht wahr. Oder sind erfüllt von dem Gefühl unendlicher Gelassenheit.
    Genau das fehlte mir, als ich an meinem ersten Tag in Lhasa vor dem Potalapalast stand: beeindruckt von den Dimensionen, der Ausstrahlung und Geschichte der ehemaligen Residenz des Dalai-Lama. Irritiert von der sechsspurigen, stark befahrenen Straße zu den Füßen

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