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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
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Sees. Er fährt uns die paar Meter zum Hafen. Weil es so kalt sei. Und weil keiner Lust hat, unser Gepäck zu tragen.
    Im Auto drückt Levi seine Hände gegen die Fensterscheibe. Er verdreht seinen Körper, um den Blick auf Natascha nicht zu verlieren, die lachend und winkend vor unserem Chalet steht und kleiner wird. Levi lacht zurück und stößt gleichzeitig Laute des Missfallens aus. Und mir bricht gleich doppelt das Herz.
    Auf dem Boot fällt Levi in seinen typischen Protestschlaf. Also lege ich ihn in der Kajüte bei meinen zwei Kapitänen ab und stelle mich in den eisigen Wind.
    Bloß nicht zurückschauen.
    Ich spüre eine enorme Leere. Gleichzeitig bin ich so voll und glücklich von den letzten Tagen in Bolschije Koty. Ich wische mir eine Träne aus dem Auge – muss von dem kalten Wind kommen.
    Globalisierung des Ostens
    »Julia!«, höre ich eine Stimme hinter mir. Es ist Alicer, der Mann mit den zwei Eigenschaften: Er kann seelenruhig auf einem Stuhl in der Küche schlafen, während um ihn herum drei Frauen kochen und werkeln. Und er kann wunderbar mit Marianna und Levi spielen. Er hat es genossen, mit Levi auf der Schaukel zu toben, wilder als mit seiner zarten Tochter Marianna. Da er kein Englisch spricht und auch ansonsten sehr zurückhaltend mit der Kommunikation war, hatten wir uns bisher wenig ausgetauscht. Und als Nadia ihm dann noch mit blitzenden Augen den Titel » useful man « verpasste, hatte ich sie aufgerissen, die Schublade vom herumlungernden sibirischen Mann und den fleißigen Frauen.
    Und nun steht er vor mir, bei strahlender Sonne und Windstärke 7 auf einem Fischkutter, mit einem Laptop in der Hand, auf dessen Bildschirm ich eine komplexe technische Zeichnung erkennen kann. Und mathematische Formeln. Wir stellen uns in die windabgewandte Seite, und Alicer erzählt in einem Vielsprachengemisch, in dem ich auch einige Brocken Englisch ausmache: »Ich fliege nach Tokio.«
    »Aha.«
    »Ich habe in drei Monaten dort Japanisch sprechen und schreiben gelernt.«
    »Ahaaa!?!«
    »Ich spreche Russisch, Arabisch und Japanisch.«
    Er stammt aus Taschkent in Usbekistan. Weil er mehr wolle vom Leben, als dort möglich schien, habe er Russisch gelernt und sei aufgebrochen. Ganz allein. Sein besonderer Name, der schwarze Zopf und die dunkle Haut machen auf einmal Sinn. Sie zeugen von einer spektakulären Herkunft und weniger von sibirischer Nachlässigkeit.
    Kaum dass er den russischen Pass gehabt habe, sei er nach Japan aufgebrochen. Dort sei es jetzt warm. Im Meer könne man richtig baden, nicht so wie hier am Baikal, erzählt Alicer. Er sei oft müde, weil er zwischen Tokio und Bolschije Koty pendele und sich dann nachts um Marianna kümmere, damit Nadia mal schlafen könne. Es falle ihm irgendwie schwer, so oft weg zu sein von seiner Familie. Aber irgendwie habe er auch das Gefühl, das Richtige zu tun.
    Wenn ich bisher an Taschkent gedacht habe, kamen mir Bilder von der Seidenstraße, Männern in langen Gewändern mit Wasserpfeife und von grandioser Architektur in den Sinn. Aber auf keinen Fall von globalen Nomaden mit Laptop, Wohnung in Japan und Familie am Baikalsee.
    Und war ich gerade noch ein wenig genervt davon, dass Alicer meinen Plan der einsamen Wehmut mit Blick auf die tosende See durchkreuzt, so bin ich ihm nun unendlich dankbar für die Erinnerung an ein gutes Gefühl: Es fühlt sich gut an, mich immer wieder vom Leben überraschen zu lassen.
    Ich bin an einer Grenze
    Irkutsk ist windig, kalt und nicht wirklich schön. Außerdem gibt es nichts zu erleben. Außer an der Uferpromenade der Angara entlangzuschlendern und auf den gegenüberliegenden Bahnhof zu schauen. Warum hatte ich noch mal zwei Nächte in Irkutsk eingeplant? Ach ja: Ich dachte, nach den entbehrungsreichen Tagen am Baikalsee täte uns ein wenig Pampern in einem schönen Hotel an einem Ort mit Infrastruktur gut: baden, schlendern, Kräfte sammeln. Für die Mongolei. Und nun ist alles andersherum.
    »Paris des Ostens« wird Irkutsk auch genannt. Warum, erschließt sich mir nicht. Ich mag Paris, und ich liebe das »Paris Südamerikas« Buenos Aires. Aber: Irkutsk und Buenos Aires in einer Schnittmenge namens Paris? Bei aller Liebe zu Sibirien.
    Und das, obwohl die Grundvoraussetzungen für ein bisschen Verwöhnen mit dem Hotel Sayen durchaus gegeben sind. Levi inspiziert die zahlreichen Spiegel und schäkert mit sich selbst. Wir baden in warmem Wasser, bestellen Essen aufs Zimmer. Aber sonst? Wir kennen niemanden. Und in

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