Mutiert
stattfanden. So konnten der Kommandant und sein Cabo kaum auf Hilfe rechnen, als sie mit knapp vier Knoten stromaufwärts trieben und dabei eine dichte Rauchfahne auf dem Gewässer hinterließen.
» Ich hoffe nur, dass wir vor Anbruch der Nacht die Stadt erreichen«, murmelte der Kommandant und betrachtete die Nebelschwaden, die jetzt bei Tagesanbruch wie ein seidener Vorhang über den Wäldern hingen.
Der Cabo stopfte seine Pfeife. Er saß auf einer Materialkiste und blickte über die Reling auf das Westufer, wo dicke Mangrovenwurzeln ins Wasser ragten.
» Keine Sorge«, antwortete er. » Wir haben noch zwölf Stunden.«
» Vielleicht war es doch keine so gute Idee, nach Brás zu fahren. Auch wenn São Sebastião weiter entfernt liegt. Von dort aus wären wir zumindest schneller nach Manaus zurückgekommen.«
Der Cabo steckte seine Pfeife an, und der Duft von Pflaumen legte sich über das Deck.
» In ein paar Stunden sind wir in Brás, und dort gibt es Telefone.«
Einer der Soldaten näherte sich und salutierte. » Was ist, Chicko?«, fragte der Kommandant.
» Pedro«, antwortete der Soldat. » Es geht ihm nicht gut.«
Der Cabo sprang auf. » Was hat er denn?«
Der Soldat zuckte mit der Schulter. » Ich weiß es nicht, ich glaube, er hat Fieber.«
9
Hospital Santa Catarina, São Sebastião, Amazonasgebiet
Lila hatte schlecht geschlafen. In der Nacht war es nur leidlich kühler geworden und die hohe Luftfeuchtigkeit beinahe unerträglich gewesen. Aber als Lila gegen acht Uhr ihren Dienst in der Patientenaufnahme antrat, hatte ein schweres Gewitter die Luft reingewaschen. Bereits zwölf Patienten saßen im Wartezimmer.
Lila behandelte zuerst einen kleinen Indio-Jungen, der von seiner Mutter in die Station gebracht worden war und nun nur unwillig der Ärztin in den Behandlungsraum folgte. Seine Augen waren ganz verquollen, und er heulte Rotz und Wasser, während er sich an seine Mutter klammerte. Der Junge hatte bereits seit einigen Tagen Husten und Halsschmerzen, und auf dem Körper des Achtjährigen breitete sich ein entzündlicher Hautausschlag aus.
Als Lila mit dem Fieberthermometer kam, konnte die Mutter den Kleinen kaum ruhig halten. Beide gehörten dem Stamme der Yanomamis an und kamen aus einer Indianersiedlung, die in einiger Entfernung westlich von São Sebastião lag. Mit ihrem Einbaum ohne Motor hatten sie für ihre Fahrt auf dem Fluss zwei Tage bis zur Krankenstation gebraucht. Der Vater war im Hafen beim Boot zurückgeblieben. Conceição, die Krankenschwester, assistierte Lila und redete beschwichtigend auf den Jungen ein. Conceição, selbst indianischer Abstammung, beherrschte die vielen unterschiedlichen Dialekte der Indianerstämme, und ihre einfühlsamen Worte vermochten den Jungen zu beruhigen. Zögerlich, doch deutlich zutraulicher, ließ er Lila gewähren, die ihm das Fieberthermometer in den Mund steckte. Mit großen, verweinten Kulleraugen sah er die junge Ärztin an. Nach knapp einer Minute gab das Thermometer ein kleines Signal von sich.
» Achtunddreißig fünf«, sagte Lila. » Kein Zweifel, der junge Mann hat Masern. Er darf in der nächsten Woche nicht mit anderen Kindern zusammenkommen, denn sonst muss bald das ganze Dorf hier nach São Sebastião rudern. Absolute Ansteckungsgefahr für alle, die noch keine Immunkräfte aufgebaut haben.«
Die Indianerin blickte Conceição fragend an.
» Was soll ich ihr sagen?«, fragte die Krankenschwester.
Lila ging an den Apothekenschrank und holte ein Antibiotikum und ein fiebersenkendes Schmerzmittel hervor.
» Sag ihr, dass er bald wieder gesund wird«, antwortete Lila. » Und sag ihr, er soll jeden Tag nach dem Essen eine weiße Pille nehmen, bis die Packung leer ist. Die roten Pillen nur, wenn ihm schlecht wird und er hohe Temperatur hat. Und er soll nicht mit anderen Kindern spielen, sonst werden die ebenfalls krank. Und Schwangere sollen auch nicht in seine Nähe.«
Noch bevor die Krankenschwester mit ihrer Übersetzung am Ende war, wurde plötzlich die Tür aufgestoßen. João, der Krankenpfleger, streckte den Kopf herein.
» Schnell, dringend, ein Notfall!«, rief er.
Lila legte das Fieberthermometer zur Seite. » Was ist mit Doktor Alonso, er hat Notfalldienst.«
» Der Doktor ist nicht gekommen«, antwortete João. » Schnell, wir brauchen Hilfe, sonst stirbt der Patient.«
Lila streifte ihre Handschuhe ab, verabschiedete sich hastig von ihrem jungen Patienten und der Mutter und folgte João den Flur entlang in den
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