Mutter des Monats
öffentlichen Interesses geworden war. Die Angelegenheit musste unbedingt geklärt werden. Ab jetzt würden sie keine Skizzen mehr diskutieren, sich nicht mehr wegen dieser Sache treffen, keine DVD s mehr miteinander ansehen, wenn die Kinder nicht da waren. Obwohl alles ganz harmlos war – meine Güte, sie mochten eben dieselben Filme, mehr nicht –, würde sie einen Schlussstrich unter die Sache ziehen. Außerdem wollte sie herausfinden, worüber diese Neugiernase Pamela sich schon wieder das Maul zerrissen hatte.
Sie stahl sich wie ein Eichhörnchen ins Gebäude, huschte über den Flur, um die Ecke, und wappnete sich ein letztes Mal gegen den bösen Blick der alten Hexe. Doch bevor sie noch das Rektorat erreicht hatte, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Sie blieb stehen, zog die Nase kraus und witterte Gefahr. Gefahr mit einem Hauch Floris. Als Erstes fiel Rachel auf, dass die Sekretärin sie direkt ansah. Offenbar hatte sie sie bereits erwartet. Und sie lächelte! Tatsächlich, das war ein Lächeln. »Verzeihung«, flötete Mrs Black. »Tut mir wirklich sehr leid, Mrs Mason, aber ich fürchte, Mr Orchard hat zu tun.«
»Genau, Rachel.« Pamela hatte sich vor Toms verschlossener Tür aufgebaut. Ihre Wurstfinger, grausam durchschnitten von Ringen, die ihr wohl geschenkt worden waren, als sie noch jünger und hübscher gewesen war, umschlossen den Türgriff. »Mr Orchard hat viel zu tun. Wenn er in der Schule ist. Sehr viel. Musst du ihn sprechen? Ist es dringend? Geht es um schulische Angelegenheiten deines Kindes ? Wenn ja, dann lass dir doch bitte von Mrs Black hier einen Termin geben.«
Mrs Black wedelte mit dem Stift in der einen und einem dicken Terminkalender in der anderen Hand, dabei strahlte sie wie eine Frau, die in ihrem faden, freudlosen Leben endlich einen glücklichen Tag genoss. »Mal sehen«, säuselte sie, »ob noch ein Termin für Sie frei ist.«
Rachel schwamm der Kopf. Sie stellte sich vor, wie Tom sich, an den Stuhl gefesselt und geknebelt, vor seinem Schreibtisch wand, und bildete sich ein, dass er sie hören, sich aber nicht befreien konnte.
Heiliger Bimbam, reiß dich zusammen! »Ähm. Kein Problem.« Sie trat ein paar Schritte zurück. »Nicht so dringend. Ein paar Kleinigkeiten.« Wandte sich um und rief: »Natürlich kann das warten.«
Als sie durch die dunklen Flure gehastet und endlich wieder in der Sonne gelandet war, lief sie erst mal zum Unterrichtspavillon, wo sie in Ruhe nachdenken konnte. Jetzt, da sie wusste, dass sie jede Minute des Tages unter Beobachtung gestanden hatte, betrachtete sie die vergangenen Monate in einem ganz anderen Licht. Sie dachte über ihr Benehmen nach und versuchte sich vorzustellen, was die Staatspolizei von St. Ambrose mit ihrer versteckten Kamera wohl davon gehalten haben mochte. Wie sie jeden Tag ins Rektorat getrippelt war, als hätte sie ein Recht dazu. Wie sie Tom während der Gourmet-Lotterie näher gekommen war – Gott, was für ein skurriles Paarungsritual. Letzten Sonntag, nach dem Fun Run, hatten sie noch einen Spaziergang in den Ort gemacht, um dort Kaffee zu trinken. Nur sie beide. Sie musste zugeben, dass die Staatspolizei gar keine versteckte Kamera gebraucht hatte. Rachel hatte sich im vorauseilenden Gehorsam ganz offen vorgeführt, als würde niemand zusehen.
Wie sie sich zum Affen gemacht hatte! Ihre Wangen brannten, ihr Mund war trocken. Sie musste sich Poppy schnappen und schleunigst nach Hause verschwinden. Ihren Namen ändern. Sich einen Bart wachsen lassen. Auswandern.
»Rachel! Ich muss mit dir reden.« Heather zitterte und war offensichtlich außer sich vor Wut.
»Hör mal, zwischen uns ist nichts …«
»Es ist ja schon ein schlechter Witz, dass Georgina noch ein Kind bekommt. Das ist doch unverantwortlich. Der Planet …« Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Aber dass sie dabei auch noch raucht? Das schreit doch zum Himmel. Ich kriege das gar nicht mehr aus dem Kopf. Der arme Fötus. Technisch gesehen ist das Kindesmisshandlung, das weißt du auch. Wir müssen was unternehmen. Sofort. Wir sollten …«
Rachel spürte förmlich, wie ihr der Geduldsfaden riss.
»Heather, hör sofort auf. Es reicht. Behalte es für dich. Nur dieses eine Mal. Denk doch erst mal nach, bevor du den Mund aufmachst. Ich finde es nicht gut, aber ich weiß auch, dass mich das nichts angeht. Georgina ist eine verantwortungsbewusste Erwachsene, die ohne Hilfe von außen für ihre wunderbare Familie sorgt. Also würdest du und alle
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