Mutter des Monats
fast jeden Sonntag seit der Geburt ihres Sohnes Josh getan hatte: einen Sonntagsbraten zubereiten. Mit Minzsoße oder Preiselbeeren? Ihr war ja Letzteres lieber.
Nicht, dass sie heute die Wahl gehabt hätte. Nein, denn Rachel genoss heute den ersten einer Reihe familienfreier Sonntage in ihrem Leben. Was natürlich nur eine Vorstufe dessen darstellte, was noch auf sie zukam: familienfreie Weihnachtsfeiern. Du liebes Lieschen. Ihr wurde ganz flau im Magen. Wie sollte sie das nur überstehen? Und die wochenlangen, getrennten Urlaube? Wenn Chris und die Kinder und diese verdammte Assistenzärztin gemeinsam Ferien machten – sie sah die dumme Schlampe schon vor sich, wie sie in ihrem bescheuerten Schlampen-String Strandfotos fürs Familienalbum nachstellte –, während Rachel allein und verlassen in ihrem Haus hockte und endlich – wie hatte Clover, die blöde Zicke, das noch genannt – eine persönliche Auszeit genießen konnte. Und darauf sollte sie sich freuen?
Bis jetzt war es mit der persönlichen Auszeit ja echt dufte gelaufen. Die erste persönliche Auszeit , und ab geht die Luzi, Freunde! Hier war sie also gelandet, bei ihrer Mutter im Garten, in den zu großen Gummistiefeln ihres Vaters, das Gesicht verschleiert und jede Stelle ihres Körpers bedeckt: ein kleines, gedrungenes, anonymes Neutrum. Sie schlurfte über die Terrasse, popelte hie und da mit der Gummistiefelspitze im Rasen herum und wartete. So langsam verging ihr die Lust, nett zu ihrer Mutter zu sein. Keine Ahnung, woran die da schon wieder so lange herumfummelte. Sah aus, als zündete sie eine Gießkanne an. Was das sollte, verstanden wohl nur Grenzdebile.
»Das ist ein Räuchergerät«, rief sie Rachel zu. »Der Rauch lenkt die Bienen ab. Wenn sie beschäftigt sind, stechen sie uns nicht.«
»Echt?«, rief Rachel zurück. »Ist ja sagenhaft.« Bla, bla, bla, dachte sie und widmete sich wieder dem Rasenpopeln. Und wen interessiert das?
»Gut, ich glaube, jetzt können wir reingehen.« In der seit Rachels Kindheit in Einkaufspassagen und an Strandpromenaden erprobten Formation begaben sie sich ans Ende des Gartens: Ihre Mutter marschierte vorneweg, und Rachel latschte hinterher. Nacheinander gingen sie durch ein kleines Tor. Schon vorher war der Lärm nicht zu überhören gewesen, doch als Rachels Mutter den Bienenstock öffnete, wurde das Summen unerträglich laut. An eine oder zwei Bienen war Rachel ja gewöhnt, ja, sie hatte sogar beobachtet, wie die ihr Dingsbums in eine Blüte steckten und ihr Bienending machten, doch dieser Anblick traf sie völlig unvorbereitet. Tausende auf einem Haufen bildeten ein ziemlich schlagkräftiges Heer. Sie unterschieden sich völlig von den Bienen, die sie zu kennen glaubte. Mit einer einzelnen Biene, dachte sie, kam sie leicht klar. Man konnte sie ignorieren oder verscheuchen. Aber in dieser ungeheuren Menge vereinten sie sich zu einem neuen Organismus. Es schien, als verbänden sie sich zu einem neuen Ganzen. Das hatte fast was von Alchimie. Instinktiv wich Rachel zurück. Die Schutzkleidung kam ihr plötzlich viel zu dünn vor, und sie fühlte sich sehr verwundbar.
»Na prima!«, sagte sie eilig. »Das war’s dann wohl. Alles fit.« Sie trat noch weiter zurück. »Können wir gehen?«
»Jetzt sei doch nicht albern, Rachel. Wir müssen erst alles überprüfen.« Die Stimme ihrer Mutter hatte sich auch verwandelt. Sie klang sanft, süß, vertraulich.
»Also wirklich, Mädels. Jetzt hört euch das an. Habe ich’s nicht gesagt?«, murmelte sie, als sie das oberste Wabenrähmchen herausnahm und es inspizierte.
»Was? Was hast du ihnen gesagt?«, Rachels Stimme klang weder sanft noch süß. Einige Bienen flogen heraus und umkreisten sie. Sie wich weiter zurück, wedelte mit den Händen vorm Gesicht herum und fauchte sie an: »Haut ab! Lasst mich in Ruhe. Ich habe jetzt meine persönliche Auszeit, verstanden! Auszeit!«
»Jetzt sei doch mal ruhig, mein Schatz«, sagte ihre Mutter über die Schulter hinweg. Dann sprach sie wieder mit den Bienen. »Manchmal redet meine Tochter komisches Zeug. Oft weiß ich auch nicht, was sie da plappert.«
»Äh, hallo! Ich bin hier, falls du’s noch nicht gemerkt hast.« Hatten die sich etwa gegen sie verbündet? Konnte man fast meinen. Ja, die hatten sich verdammt noch mal gegen sie verbündet!
»Nimm dich nicht so wichtig, Rachel.« Na, der Spruch kam ihr bekannt vor. »Das sind nur die Wächterbienen. Sie tun ihre Arbeit.«
Aha! Das meinte sie wohl auch noch
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