Mutter macht Geschichten
Landhaus seiner Eltern einzuladen, wohin er jeden Freitag fuhr, um seiner Stadtwohnung im Zentrum zu entfliehen, als der Kellner sie unterbrach. George warf einen prüfenden Blick auf die Weinkarte und Jill einen prüfenden Blick auf George.
Irgend jemand hatte mal gesagt, daß George Dundon die Apotheose eines wohlerzogenen, blonden, gutaussehenden Engländers sei, und Jill hatte im Fremdwörterlexikon nachgesehen und dann zugestimmt. Er war, angefangen von seinem blonden Scheitel bis zu seinen handgearbeiteten Schuhen, über jede Kritik erhaben. Die Einladung nach Sussex, dachte Jill, bedeutet ja wohl, daß er mir einen Heiratsantrag machen will, das heißt – natürlich nur, wenn die kleine Tippse, die ich nun mal bin, von seinen sicher sehr snobistischen Eltern akzeptiert wird. Noch vor sechs Monaten wäre das bestimmt schiefgegangen, aber ihre Freundschaft mit George hatte sie sicherer und gewandter werden lassen, und die vornehme Haltung war ihr natürlich angeboren! Bei diesem Gedanken stieg ein Kichern in ihr hoch, das sie aber schnell hinter einem diskreten Hüsteln verbarg. George hatte nichts bemerkt, er war in die Weinkarte vertieft. Er gehörte nicht zu den Männern, die erleichtert aufseufzen, wenn sie einen Wein finden, der zu Fisch und Steak und zu was-weiß-ich-noch paßt. George kannte und schätzte die Dinge, die das Leben lebenswert machen, und war auch gewöhnt, sie zu bekommen.
Jill hatte ihn einmal mit nach Hause gebracht, um ihn ihrer Mutter vorzustellen, aber der Besuch war kein ausgesprochener Erfolg gewesen.
Mammi und George waren beide von einer geradezu erlesenen Höflichkeit gewesen, doch wenn jemand einem gefällt, macht man sich gar nicht die Mühe, so ausgesprochen höflich zu sein. Natürlich hatte Mammi auch später nichts Abfälliges über ihn gesagt – wer könnte schon etwas Abfälliges über ihn sagen? –, aber sie schien etwas besorgt: »Er ist aber viel älter als du.«
»Er ist erst vierunddreißig.«
»Das ist sehr viel älter als neunzehn.«
»Oh, Mammi, schau dich an, du bist doch großartig mit Vater ausgekommen!«
»Ich war nicht eine Sekunde lang unglücklich mit eurem Vater«, Mammi hatte dabei etwas wehmütig gelächelt und leicht geseufzt, »aber es ist schade, so früh erwachsen zu sein.«
»Aber Mammi! Vielleicht hat man zu deiner Zeit neunzehnjährige Mädchen nicht wie Erwachsene behandelt, doch ich kann dir nur versichern, das hat sich grundlegend geändert.«
»Ich habe es etwas anders gemeint.« Und sie hatte immer noch besorgt ausgesehen.
»Du magst ihn doch um seiner selbst willen, nicht wahr? Und läßt dich nicht durch irgendwelche anderen Dinge beeinflussen?«
George hatte so viel außer sich selbst zu bieten, daß Jill schon früher versucht hatte, sich diese Frage ehrlich zu beantworten.
Natürlich wäre es weit angenehmer, die Frau eines vermögenden Mannes zu sein und mit kultivierten Leuten gesellschaftlichen Verkehr zu pflegen – George bekleidete einen wichtigen Posten in der City und stammte aus einer Grundbesitzerfamilie –, als dauernd die letzten Kröten zusammenkratzen zu müssen wie James und Pamela oder bald auch Dina und Eric, von Mammi ganz zu schweigen; bloß daß sie es eben leider nicht getan hatte. Aber wenn man alle diese materiellen Vorteile mal außer acht ließ – soweit man das konnte –, blieb George auch dann noch ein sehr anziehender und kluger Mann, dem es gelang, einem Mädchen das Gefühl zu geben, daß es begehrenswert und einzigartig ist. Und was konnte man von einem Ehemann mehr verlangen? George hatte dem Ober jetzt seine Weinbestellung gegeben und lächelte sie an.
»Was für ein hübsches Kleid«, sagte er.
Es war ein heruntergesetztes Modellkleid, das Mammi ihr geschenkt hatte (was sie natürlich nicht hätte tun sollen). Jill erzählte es ihm und fuhr dann fort: »Wir machen uns große Sorgen um Mammi.«
Georges Lächeln machte einem leichten Stirnrunzeln Platz. Auch er hatte die ominöse Zeitungsnotiz gelesen, und er haßte nichts mehr, als Aufsehen zu erregen – genauso wie seine Familie, der es sogar unangenehm war, in den Hofnachrichten zu erscheinen. Er hatte es also gar nicht geschätzt, den Namen seiner zukünftigen Schwiegermutter im Zusammenhang mit diesem peinlichen Zwischenfall in der Presse zu lesen.
»Und nicht nur wegen des armen umgeworfenen und gebissenen Polizisten«, fuhr Jill fort, »er hat eigentlich nur den Stein ins Rollen gebracht.« Sie kicherte. »Dina meint,
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