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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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sieht er wieder mich an, dann wieder sie. »Es ist alles sinnlos. Sie versteht nichts mehr«, murmelt er, geht zurück zur Garderobe und zieht sich wieder aus.
    So stehe ich zwischen meiner total verwirrten, hilflosen Mutter, die überhaupt nichts mehr versteht, und meinem völlig entnervten, zutiefst frustrierten Vater und fühle mich ratlos. In diesem Moment klingelt es an der Tür. Der Pflegedienst kommt an diesem Abend genau zur richtigen Zeit.
    Ich mache mich gleich auf den Weg zurück in unsere Wohnung. Schon wieder habe ich das Ende eines Films verpasst. Als ich zur Tür hereinkomme, macht Jens den Fernseher wie so oft sofort aus. Er hat auf mich gewartet.
    »Was ist passiert?«, fragt er.
    »Meine Mutter verliert ihre Erinnerung jetzt vollkommen!«, antworte ich.
    Und im gleichen Moment wird mir bewusst, was ich da gerade ausgesprochen habe. Sie verliert nicht nur ihre Erinnerung, sie verliert uns, sie verliert ihren Mann, sie verliert einfach alles, und zum Schluss verliert sie sich selbst. Kaum dringt diese Erkenntnis in mein Bewusstsein, kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich beginne, hemmungslos zu weinen.
    Meine Mutter wird im Laufe der Wochen immer verstörter. Eine unglaubliche Unruhe beherrscht ihren Geist sowie ihren Körper. Sie, die immer die Geduld in Person war, wird fordernd und aufsässig, um im nächsten Moment wieder ängstlich und verstört zu sein. Es ist schrecklich zuzusehen, wie sie leiden muss.
    Ich stelle mir vor, dass sie gefangen ist in einem kranken Geist, der keine Zusammenhänge mehr herstellen kann. Es gibt Tage, da ist sie felsenfest davon überzeugt, im falschen Haus zu leben. Jeden, der vorbeikommt, fragt sie, ob er sie nach Hause bringen kann. Dann hat sie wieder Tage, an denen sie zutiefst traurig ist und jeglichen Lebensmut verloren hat. Sie weiß genau, dass etwas mit ihr nicht mehr stimmt, weint ununterbrochen und will eine Antwort auf die Frage: Was ist nur los mit mir? Doch die Diagnose Demenz, die die Ärzte vor geraumer Zeit gestellt und ihr mitgeteilt haben, hat sie längst vergessen. In ihrem jetzigen Zustand würde sie auch nicht mehr verstehen, was ihr fehlt. So versuche ich ihr zu vermitteln, dass sie altersgemäß Probleme mit dem Gedächtnis hat. Was bleibt mir anderes übrig?
    Später ist sie wütend, weil sie nicht glaubt, was man ihr erzählt. Sie wisse genau, dass sie hier nicht wohne, sagt sie. Sie ist überzeugt davon, dass wir sie alle anlügen und eine große Verschwörung gegen sie stattfindet.
    Seit Neuestem bittet sie den Arzt, sie mitzunehmen. Sie würde so gern bei ihm wohnen, erklärt sie. Eigentlich ist es ein bisschen lustig, aber in Wahrheit ist es entsetzlich, was in ihr vorgeht.
    Hilferufe in der Nacht
    Die Probleme wachsen im Laufe der Wochen zu einer schier unüberwindbaren Hürde an. Nicht nur meine Mutter verändert sich bedingt durch ihre Demenzerkrankung, sondern auch mein Vater, der damit leben muss. War er die meiste Zeit seines Lebens liebevoll, humorvoll und vielseitig interessiert, entwickelt er sich zusehends zu einem nervösen und verbitterten Mann, der immer weniger auf seine Vernunft zu hören scheint. Seine Stimmungsschwankungen sind enorm. Je nach Tagesverlauf ist er entweder hochdepressiv oder extrem zynisch und bissig. Seit Wochen habe ich ihn nicht mehr nett erlebt. Ständig schimpft er über die Pfleger, Ärzte, über die Familie oder über die Wissenschaft, die es bisher nicht geschafft hat, den Alterskrankheiten und dem Leiden Herr zu werden. Immer mehr verfällt er der Idee, dass die Alten der Gesellschaft nur noch lästig sind und sie sich derer entledigen will.
    Die Besuche werden immer mühsamer. Zu Beginn des Gespräches laufen alle Bemühungen darauf hin, meinen Vater zu besänftigen. Erst danach gelingt es, die Themen in eine positive Richtung zu lenken. Meine Mutter hingegen ist dazu übergegangen, ihnen Mann zu ignorieren. Ob sie ihn nicht mehr erkennt oder ob sie müde von seinem Geschimpfe ist, kann ich nicht beurteilen, doch ihre Augen sind leer und ausdruckslos. Das einstige Leuchten darin ist verschwunden. Immer wieder sehe ich die pure Panik in ihrem Gesicht, wenn sie ganz offensichtlich ihre Orientierung Raum und Zeit betreffend verloren hat. Dann vertraut sie niemanden mehr – und schon gar nicht mir.
    Ich schrecke aus meinem Schlaf hoch. Was war das?
    »Hiiiiilfe!«, höre ich jemanden rufen. Eine hohe, dünne Stimme.
    »Haaaaalooooo! Ist da jemand? Hiiiilfe!«
    Oh Gott. Das ist ja meine

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