Muttergefuehle
habe. Hilfe ist für mich nicht mehr nur ein Eingeständnis von Schwäche, sondern auch nett und praktisch. Trotzdem habe ich bis jetzt – und mein Sohn wird demnächst zwei – genau ein einziges Mal eine Freundin um Hilfe gebeten, und das auch nur, weil der Kieferchirurg sich geweigert hat, mir mit Kind auf dem Schoß ein Gewinde in den Kiefer zu operieren. Und auch sonst verbringe ich tagelang mit krankem Kind allein zu Hause, sitze mit einem tobenden Rumpelstilzchen stundenlang im Wartezimmer vom Arzt oder gehe trotz Mandelentzündung und Fieber auf den Spielplatz, statt den Babysitter zu bestellen. Selbst als mein Sohn fast zwei Wochen am Stück krank war, jede Nacht mindestens alle zwei Stunden aufgewacht ist und ich dementsprechend wenig schlafen konnte, habe ich niemanden um Hilfe gebeten, sondern meinen Mann, der irgendetwas Wichtiges bei der Arbeit hatte, sogar noch ins Hotel verfrachtet und die starke Mama gemimt. So lange, bis ich bei den Tageseltern hemmungslos in Tränen ausgebrochen bin. Sie hatten den Fehler gemacht, mich zu fragen, wie es mir geht. Dafür, dass sie mir nach meiner Heulattacke ihre Hilfe aufgezwungen haben, bin ich ihnen ewig dankbar. Ich hätte nämlich nicht darum bitten können.
Es ist wirklich so dämlich! In meinem Bekannten- und Freundeskreis bieten wir Mütter uns ständig unsere Hilfe an, sagen so etwas wie: »Aber hey, ruf wirklich an, wenn was ist!«, und wir meinen es auch immer so, aber keine macht es. Deshalb konnte ich bis jetzt nur ein einziges Mal helfen. Ich habe vor Freude in die Hände geklatscht, als mich eine Freundin bat, ihre Tochter von den Tageseltern abzuholen und auf sie aufzupassen, bis sie vom Arzt zurück war. Endlich machte mal eine etwas, das normal sein sollte: um Hilfe fragen, sie bekommen und das alles selbstverständlich finden.
Dafür, dass es für mich noch nicht normal ist, muss ich wohl nicht nur mir selbst, sondern auch dem Mythos der perfekten Mutter in den Arsch treten, dem zufolge eine perfekte Mutter keine Hilfe braucht, weil sie demütig jede noch so beschissene Situation mutterseelenallein erträgt. Die einzig legitime Unterstützung einer perfekten Mutter scheint die von Familienmitgliedern zu sein. Verbringt ein sehr kleines Kind eine Nacht bei Großeltern und Co., ist das süß und toll, aber als mein Sohn bei seinem Tagesvater übernachtet hat, wurde von manchen Seiten schon etwas sparsam geguckt. Und auch ich selbst ertappe mich bei dem völlig antiquierten Gedanken, dass ein Kind bei Verwandten lustige Spaßzeit verbringt, während es bei Babysittern oder Freunden »untergebracht« oder »geparkt« wird. Für diese beknackten Gedanken müsste ich eigentlich zur Strafe jedes Mal mit Wurstwasser gurgeln. Ich will entspannt Menschen um Hilfe bitten, die mir helfen können, egal, ob sie mit mir verwandt sind oder nicht, ich will diesen verschissenen Perfektionsdrang nicht mehr, und ich will nicht mehr märtyrermäßig jede noch so überfordernde Situation allein ertragen. Nicht einmal Jesus hat sein Kreuz allein getragen, und Ghandi hat auf seinem Salzmarsch bestimmt auch mal jemanden gefragt, ob er kurz auf huckepack kann.
Das hilft mir beim Hilfeproblem:
• Ich biete immer wieder meine Unterstützung an. Irgendwann wird sie jemand annehmen.
• Ich klatsche mir mit der flachen Hand an die Stirn, wenn der Gewissenskonflikt, dass mein Kind von einem »Nicht-Verwandten« betreut wird, in mir aufsteigt.
• Ich klatsche mir noch doller mit der flachen Hand an die Stirn, wenn ich in den Märtyrer-Modus wechsle und denke, ich muss alles allein schaffen.
• Ich zwinge mich, jemanden anzurufen und um Hilfe zu bitten, wenn ich nicht mehr kann.
Es reicht einfach nie.
Die Selbstvorwürfe, keine perfekte Mutter zu sein.
Jeden Tag, selbst wenn er perfekt war, könnte ich immer schon mittags mindestens zehn Dinge aufzählen, die ich falsch gemacht habe. Nehmen wir zum Beispiel heute:
1. Ich habe beim Frühstück Zeitung gelesen, statt darauf zu achten, dass mein Sohn sich viel zu viel Butter auf sein Brot geschmiert hat.
2. Ich habe mich vor ihm mit dem Mann gestritten.
3. Ich habe ihn beim Wickeln ziemlich übel in die Zange genommen, weil er so gestrampelt hat.
4. Ich habe ihm mein Handy gegeben, obwohl ich eine Minute vorher gesagt habe, er bekommt es nicht.
6. Ich habe sein Zimmer nicht richtig aufgeräumt, sodass es furchtbar ungemütlich aussieht.
7. Ich habe ihm die Strumpfhose von gestern angezogen, weil ich keine Lust
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