Muttertier @N Rabenmutter
komisch?«
»Das Gleiche sagt Till auch bei jedem Buch, das er geschenkt bekommt. Ich brauche immer mehrere Wochen, bis ich es ihm endlich vorlesen darf. Und dann ist er meistens total begeistert. Deshalb musste ich gerade lächeln. Weil ich dachte, dass du genauso süß bist wie mein Till.« Justin brummte, aber sein Blick verriet mir, dass ihm meine Antwort gefallen hatte. »Also überleg es dir. Ich würde mich sehr freuen, wenn du dein Buch beim nächsten Mal mitbringst und ich allen daraus vorlesen darf. Und jetzt wollen wir mal sehen, was Lieselotte auf ihrem Bauernhof heute erlebt.«
Zwei Stunden später saß ich vor meinem Rechner und machte mich bei Wikipedia über Inhalt und Aufbau einer Kolumne schlau. Dort stand: ›In den Printmedien steht der Begriff vor allem für eine journalistische Form. Es handelt sich um einen kurzen Meinungsbeitrag, der sich meist über nicht mehr als eine Zeitungsspalte erstreckt. Diese Kolumnen erscheinen meist regelmäßig an gleicher Stelle mit gleichem Titel, wie das berühmte, in Auswahl als eigenes Buch erschienene Streiflicht auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung … Der erste Zeitungskolumnist war John Hill, der am 11. März 1751 mit einer täglichen Kolumne im London Advertiser und der Literary Gazette begann. Er schrieb unter dem Pseudonym ›The Inspector‹ …‹
Ein kurzer Meinungsbeitrag also. Na ja, eine Meinung hatte ich zu so ziemlich allem. Aber wen interessierte die? Hanna hatte gesagt, ich sollte über Mütter im Beruf schreiben. Wie passend. Wo ich doch eben das wollte, aber nicht durfte, weil mich niemand haben wollte. Aber vielleicht sollte ich genau darüber schreiben? Wie schwierig es für Mütter ist, überhaupt Arbeit zu finden? Ich war mir sicher, dass es nicht nur mir so erging. Immerhin war Hanna mit ihrem Jobs for Mums-Projekt das beste Beispiel. Bestimmt würden sich viele Mütter in so einem Beitrag wiederfinden.
Ich sah auf die Uhr. Schon wieder Zeit, die Jungs vom Kindergarten abzuholen. Die Kolumne musste bis zum Abend warten.
»Was gibt’s zu Mittag?« Seit mehr als drei Jahren begrüßte mich Till mit dieser Frage, wenn ich ihn abholte. Wehmütig wurde mir an diesem Tag bewusst, dass die Male gezählt waren, bei denen ich ihn am alten Gartentor seines Kindergartens mit einem Kuss in Empfang nahm und er sich stattdessen nach dem Mittagessen erkundigte. In nicht mal einem halben Jahr würde er in die Schule gehen. Mein Großer. Die Jahre waren so schnell vergangen. Teilweise hatte ich das Gefühl, das Leben säße in einem ICE und rauschte an mir vorbei. Ich beeilte mich, zum nächsten Bahnhof zu gelangen, um doch noch auf den Zug aufspringen zu können, sah aber stets nur die roten Rücklichter. Von der Schule würde ich Till nicht mehr abholen. Er würde mit seinen Klassenkameraden nach Hause laufen und mich erst an der Haustür mit der vertrauten Frage begrüßen. Schon wieder ein Stück loslassen. Darum geht es im Leben von der ersten Minute an. Und genau darin war ich überhaupt nicht gut. Warum sollte ich jemanden loslassen, den ich liebte? Weil ich ihn liebte? Das war so eine blöde Philosophenantwort, deren Kernaussage ich zwar verstanden, aber nicht verinnerlicht hatte. Ich war keineswegs bestrebt, durch solcherlei Einsichten eine höhere Bewusstseinsebene zu erlangen. Für mich war die Welt in Ordnung, wenn ich abends beim Essen alle meine Lieben an einem Tisch versammelt hatte.
»Was gibt’s zu essen, Mama?«
»Haferschleim«, lachte ich.
»Oh Mann, du bist echt gemein.« Till verstand keinen Spaß, wenn es ums Essen ging. Er war das, was man gemeinhin als guten Esser bezeichnet. Ich werde nie vergessen, wie er sich mit vier Monaten sein allererstes Glas Möhrchenbrei in einem Zug reingeschaufelt hatte. Ich war damals total begeistert, wie toll mein Sohn vom Löffel essen konnte. Die Krämpfe, die er kurze Zeit später von dem riesigen Möhrenklumpen in seinem Bauch bekam, waren dann nicht so schön. Trotz dieser schmerzhaften Erfahrung hielt Tills Liebe zum Essen an. Für ihn war Essen nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern vielmehr ein Akt der Geselligkeit. Er liebte es, wenn er Freunde aus dem Kindergarten zum Essen mit nach Hause bringen durfte. Gar nicht schön fand er es, wenn er bei anderen zum Mittagessen eingeladen war und die Mutter dort aus Diätgründen nicht an der Mahlzeit teilnahm.
»Ehrlich gesagt, habe ich noch gar nichts gekocht … Jan, kommst du bitte, wir gehen nach Hause. Du kannst
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