Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Sie dreht mit ebensolchem Nachdruck meinen Kopf zur Seite. Scheint doch ärger zu sein, als ich dachte.
»Wie meinst du das?«, fragt mein Frauchen ihre Muddi.
Ja, wie meint sie das? Ich blicke kurz zu Muddi und dann wieder auf Lauras Teller.
»Asiaten essen Hunde, Laura.«
Wie bitte?! Vor Schreck springe ich auf und stoße dabei an den Glastisch, auf dem Laura jetzt mit einem gut wahrnehmbaren Geräusch ihren Teller mit dem wundervoll duftenden Leberwurstbrot abstellt. Ich frage mich, wie man sich über fremde Kulturen unterhalten kann, wenn man doch die Wahl hätte, stattdessen dieses Brot zu vertilgen! Ich persönlich würde es ganz schnell herunterschlingen und könnte mich erst dann wieder auf eine Diskussion einlassen.
»Doch nicht alle Asiaten, Muddi! In abgelegenen Gegenden Chinas gibt es Menschen, die das tun. Aber das sind doch nicht die Asiaten …!«
»Na, ich weiß ja nicht«, tut Muddi den Einwand ab. »Überhaupt sind die komisch, die Asiaten.«
Laura seufzt. »Das sagst du jedes Mal, Muddi.«
»Ich sag bald gar nichts mehr, Laura«, sagt Muddi schnippisch.
»Du kannst gerne deinen Unmut äußern.« Frauchen sagt diesen Satz so dahin, dass selbst mir Zweifel kommen, dass sie es wirklich belanglos findet.
»Das kann ich eben nicht «, legt Muddi nach. »Ich bin ja nur die unwissende Oma, die allen auf die Nerven geht.«
Nun passiert, was passieren musste. Laura nimmt schweigend ihren Teller, das Leberwurstbrot liegt noch darauf. Ich folge ihr in die Küche, stehe mit wedelndem Schwanz und mit dem schönsten Hundelächeln, das die Menschheit je gesehen hat, vor ihr. Und was tut sie? Sie wirft das Brot in den Mülleimer. Mir bricht’s das Herz. Verdammte Asiaten. Nur wegen denen bekomm ich jetzt nichts zu fressen.
11
»Wie hieß der Herr Fischer noch mal, Kind?«
A ls ich neulich vor der Käsetheke stand, kam ich plötzlich nicht mehr auf den Namen der Sorte, die ich seit zwanzig Jahren kaufe, Laura!« Meine Mutter schaut mich kopfschüttelnd an und seufzt, ehe sie weitererzählt. »Laura, du weißt doch, die kleine Blonde, die hinter der Käsetheke steht, die kennt mich schon seit mindestens zwanzig Jahren. Gott, da lebte deine Großmutter ja noch! Stell dir das vor, so lange kennen die Verkäuferin und ich uns schon! Als ich nicht auf den Käsenamen kam, musste sie schallend lachen, und dann hat sie mir den Namen genannt: ›Appenzeller, Frau Windmann, Appenzeller nehmen Sie jeden Donnerstag!‹«
Die Verkäuferin kennt also den Namen meiner Mutter, was für Muddi stets aufs Neue eine Überraschung darstellt. Sie kennt den Namen der Dame nicht, und dabei prangt er gut lesbar seit zwanzig Jahren auf dem Namensschild über ihrem wogenden Busen.
»Woher die immer meinen Namen wissen … alle kennen mich. Na ja, dein Vater und ich waren ja auch jede Woche bei Kaufmarkt. Und wir haben uns immer sehr nett mit den Verkäuferinnen unterhalten. Schon allein deshalb, damit sie nicht zu viel draufpacken!« Muddi lächelt zufrieden. »Greyerzer und Appenzeller, Laura! Und sie wusste es doch tatsächlich!«
Insgeheim hege ich den Verdacht, dass meine Mutter ihre Tüdeligkeit nur vortäuscht und in Wirklichkeit nichts vergisst. Gar nichts. Möglicherweise erfindet sie einen akuten Gedächtnisverlust, um eine Diskussion zu entfachen. Wenn ich ihren Erzählungen lausche und sie gerade keine bestimmte Strategie verfolgt, scheint es mir stets, als würde ich mit einer Zwanzigjährigen sprechen. Locker flockig ergießt sich ihr Redefluss, sie benutzt moderne Begriffe wie »cool« oder »taff«, plaudert über gerade gelesene Bücher, referiert über kürzlich gesehene Kinofilme und verbindet alles Erlebte, ohne zu zögern, mit den dazugehörigen geschichtlichen Ereignissen – Jahreszahl, Monat, Tag und Stunde eingeschlossen. Jeder Zuhörer ist geneigt zu glauben, wenn jemand meilenweit entfernt von Alterstüdeligkeit sei, dann wäre das meine Mutter.
Weit gefehlt, denn in anderen Situationen »vergisst« Muddi die einfachsten Namen und Bezeichnungen. Und das hat gleich mehrere Gründe: Mal will sie ihr Alter demonstrieren und ihr Umfeld daran erinnern, dass man es mit einer Neunundsiebzigjährigen zu tun hat, die ein Anrecht auf Gedächtnislücken hat, selbst wenn sie ansonsten eine äußerst klar denkende alte Dame ist. Bei anderen Gelegenheiten will sie mit ihrer Vergesslichkeit – bewusst oder unbewusst – austesten, ob ihr Gesprächspartner wirklich an ihr interessiert ist. Und was ihr
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