Mutti packt aus
Ich hätte nämlich den königlichen Saal in der Mitte für mich alleine und der liegt ziemlich weit weg vom dampfenden Pferdemist im Westflügel. Auf dem spiegelglatten Parkett im Fensterrondell stünde mein Himmelbett, queensize. Oder mein Schreibtisch im gleißenden Sonnenlicht. Und immer, wenn mir nichts mehr einfiele, öffnete ich eine weiße Flügeltür zum Park hin und ergötzte mich an dem Meer von Blumen, das ein Heer von gutaussehenden Gärtnern vor meinem wohlgefälligen Blick täglich neu arrangieren würde. Drinnen wäre immer frisch geputzt, denn wir hätten Dienstboten in Massen.
Wir machen so was dauernd. Blühende Landschaften im Osten? Wir haben sie jedenfalls. Wir streiten uns um die schönsten Säle in märkischen Schlössern, renovieren im Vorübergehen die Ruinen preußischer Herrenhäuser und lustwandeln im eigenen Schlosspark. Wir kaufen uns prachtvolle Villen am Seeufer und geraten über die Frage aneinander, welche exotischen Tiere sich dort auf dem Rasen tummeln würden. Irritierend ist nur: Immer will einer das verwunschene Turmzimmer mit dem kleinen Balkon, obwohl das doch in alle Ewigkeit und vernünftigerweise meins wäre! Von dort oben könnte ich Ansprachen an mein kleines Volk halten und man würde mir huldigen. »Und wir hätten auch ein Boot!«, ergänzt Nick. »Pah! Für jeden eins!«, trumpft sein gelehriger Bruder auf. Er will ein U-Boot, die Mädchen eine coole Segelyacht und ich will schlicht ein plumpes Ruderboot zum Rumdümpeln. Ein Wassergrundstück soll es sein, in das wir flugs einen malerischen Bootssteg planen, auf dem wir jeden Abend Würstchen grillen würden. Und es wäre immer Sommer. Klar gäbe es auch für die Jungs einen zehn Meter hohen Sprungturm und für die Mädchen eine ziemlich krasse Wasserrutsche, auf der man vom Fensterbrett aus mitten in den See donnern kann.
Plötzlich verdüstert sich die Miene des Jüngsten. »Aber was machen wir denn, wenn wir das alles haben?«, flüstert er erschrocken. Und beeilt sich, seinen verständnislosen Geschwistern zu erklären: »Was sollen wir uns denn dann noch wünschen???« Charlotte weiß Rat: »Dann wünschen wir uns einfach eine Wohnung, wo immer alles rumliegt und keiner aufräumt. Mit schmutzigen Fenstern und viel zu klein und nur einem Klo und keinem Balkon. Von da aus können wir ja dann wieder weiterwünschen.«
Geschwisterticket
oder was?
Ich hab’s kapiert. Letztes Jahr durfte ich 230 Euro für ein Schülerticket bezahlen. Jetzt will ich noch eines. Zur Strafe soll ich die zwei letzten Wertmarken von der ersten Karte zurückgeben. Wie komme ich auch dazu, einfach so eine Geschwisterkarte bei der BVG zu beantragen? Ich verstehe die Erklärungen der Service-Dame nicht. Eigentlich sollte ich sie bitten, die Socke aus dem Mund zu nehmen. Aber etwas in mir kapituliert vor der geballten Leibesfülle, die nun über meine Begriffsstutzigkeit ins Beben gerät. In ihren angeödeten Blick aus halbgeschlossenen Lidern a la Michel Friedman mischt sich gefährlich langsam echter Ekel.
Warum störe ich sie auch bei Kaffee, Kippe und BZ-Lektüre? Frühmorgens um acht, wo ihr Dienst doch gerade erst begonnen hat. Was habe ich mir bloß gedacht? Meinen Einwand, die zwei Marken aber bezahlt zu haben, fegt sie mit unwilligem Grunzen vom Tisch. »Jar nischt ham se, die beeden sind doch jeschenkt!!!«
Es ist nun so: Mein Sohn hat ein Schülerticket, seine Schwester braucht auch eines und gibt es nicht dieses Geschwisterticket zu 16 Euro, wenn das erste Kind ein Ticket für 23 Euro hat? Ja, das habe ich mir so gedacht! »Geschwister ist der Älteste«, blafft sie, »der kricht jetzt die billje Karte.« Die Kippe wandert vom Mundwinkel in den Aschenbecher, sie streicht das Kästchen »0804« durch – das Datum des Schulbeginns in englischer Schreibweise. Auf einer Berliner Fahrkarte. Muss ich das verstehen? »Det jeht schon ma überhaupt nich. Vor Oktober wird det nüscht.« Ich rolle ein bisschen mit den Augen. Das bringt die Schalterdame erst recht in Fahrt. »Viel vorher hättense det machen müssen«, droht der dicke Finger. »Hamsen Schülerausweis?« Kriege ich doch erst, wenn das Kind in die Schule geht! Vorher gibt’s keinen! Mein Gestammel ödet sie an. »So kann ick jar nischt machen«, sie funkelt böse aus blau angestrichenen Lidern. »Det muß allet, allet jeändert werden. Da ham wir echt zu tun mit. Det is nich unsre Schuld, det is Beförderungsjesetz. Hamsen Bild von Ihrm älteren Kind dabei?« Wieder
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