My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
sagen:
„Deiner Gattin scheint sehr viel daran gelegen, daß ihre Cousine und Frederick Walsh ein Paar werden.“
Behutsam schob Olivia die Tür ein Stückchen weiter auf und war froh, daß keine der Angeln quietschte. Schamlos lauschte sie dem Gespräch, daß die beiden Herren führten.
„Nun, du weißt doch, wie Frauen sind“, erwiderte Preston leichthin. „Sie versuchen immer, aus ihrem Bekanntenkreis zwei Unverheiratete unter die Haube zu bringen. Für sie ist das wie ein aufregendes Spiel.“
„Ja, aber warum hat Elizabeth ausgerechnet Frederick Walsh im Sinn? Ich habe nichts gegen ihn, denn er ist ein netter Bursche und stammt aus guter alter Familie. Seinem Landsitz in Gloucestershire könnte es nichts schaden, wenn ein wenig in ihn investiert würde. Miss Fenimore hätte es allerdings verdient, eine bessere Partie zu machen. Nicht in finanzieller Hinsicht, da ihr Vermögen beträchtlich sein soll, wie ich hörte. Sie ist jedoch viel zu hübsch, lebhaft und eigenständig, um ihr Leben an einen Mann wie Walsh zu verschwenden.“
„Ich glaube, du mußt dich nicht sorgen“, entgegnete Preston belustigt. „Lizzie hat es sich zwar in den Kopf gesetzt, diese Verbindung zustande zu bringen, doch Olivia ist kein Mensch, den man mühelos am Gängelband führen kann. In Irland soll sie etliche Heiratsanträge abgelehnt haben, die ihr von sehr angesehenen und geachteten Persönlichkeiten gemacht worden sind.“
„Ich bin froh, daß sie so vernünftig ist.“
Ihr schwirrte der Kopf. Verstört drückte sie die Tür auf und betrat die Bibliothek.
Sofort schauten die Herren zu ihr herüber, und beide wirkten verlegen. Sie gab vor, es nicht zu bemerken, nahm das in einem Fauteuil liegende Reticule an sich und verließ rasch den Raum.
Ganz neue Gedanken gingen ihr durch den Sinn. Mr. Brooke wußte, daß sie reich war. Vielleicht hatte er es von den Wakelins erfahren. Tante Hester und Onkel James lag es nicht, überall damit anzugeben, daß sie begütert war. Nach längerem Überlegen konnte sie jedoch die Möglichkeit nicht ausschließen, daß die Tante sich Mrs. Channing, ihrer Busenfreundin, anvertraut hatte. Und Mr. Brooke stand mit den in seinem Haus wohnenden Channings in bestem Einvernehmen.
Vermutlich hatte er bereits gleich nach Olivias Ankunft in Parmouth erfahren, daß sie eine vermögende Frau war, und ihr folglich gar nicht unterstellt, sie wolle einen gutsituierten Mann heiraten. Falls das zutraf, hatte sie sich nur eingebildet, daß sein sie störendes Benehmen am Tage des Zwischenfalls mit dem Brunnen selbstherrlich und herablassend gewesen war. Er hatte ein Spiel mit ihr getrieben, in dem sie für ihn eine gleichwertige Partnerin war. Er hatte sie hübsch, lebhaft und eigenständig genannt. Über das letzte Adjektiv grämte sie sich ein wenig. Die meisten Männer legten keinen Wert auf eine eigenständige Frau.
Eine Stunde später war sie auf dem Heimweg und vernahm plötzlich hinter sich eilige Schritte.
„Darf ich Sie begleiten, Miss Fenimore?“ fragte Tom höflich.
„Das wäre reizend“, willigte sie ein.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
„Haben Sie an der Tür zur Bibliothek gelauscht?“ erkundigte er sich dann beiläufig.
„Wie bitte? Was bringt Sie auf diesen Gedanken?“
„Sie hatten eine solche Unschuldsmiene, als Sie hereinkamen. Sie wissen doch, der Lauscher an der Wand hört nur die eigene Schand.“
„Ich habe nichts Nachteiliges über mich vernommen.“
„Nein? Auch nicht, daß Sie sich geweigert haben, die verarmten Iren zu heiraten, die so dringend auf Ihr gutes englisches Geld angewiesen waren?“
„Ja“, gab sie fröhlich zu. „War es nicht furchtbar eigennützig und unvernünftig von mir, den kleinen Schritt in den Hafen der Ehe nicht zu wagen, wenn damit etwas so Bedeutsames und Großherziges wie die Überschreibung eines gewaltigen Vermögens verbunden ist, das jemandem, an dem einem nicht das geringste liegt, zum Vorteil gereichen könnte? Ich nehme an, ein Gentleman in Ihrer Position befindet sich oft genug in der gleichen Situation.“
„Nicht nur in dieser Hinsicht“, räumte Tom ein. „Im übrigen meine ich, daß Mr.
Walsh Ihr Geld mehr verdient hat als irgendeiner Ihrer irischen Verehrer. Was halten Sie überhaupt von ihm?“
Ihre Ansichten über Frederick Walsh gingen Mr. Brooke nichts an, doch sie war bereit, darüber zu reden. „Ich mag ihn sehr“, antwortete sie, „finde ihn allerdings ein wenig zu ruhig und
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