My Story - Streng geheim - Kein Kuss fuer Finn
immer Marius den Hörer an mich weiterreichte, kroch mein Gewissen in meinen Hals und würgte meine Stimme ab. Ich wusste gar nicht, was ich ihr erzählen sollte. Zum Glück hatte sie genug zu berichten. Sie redete ohne Punkt und Komma und ich musste lediglich zwischendrin »Aha« oder »Ja«, manchmal auch »Echt?« sagen. Mitte Dezember würde sie wieder nach Hause kommen. Bis dahin war mein Leben noch sicher.
Lukas war so sehr in die Proben eingebunden, dass er nicht mehr an mich zu denken schien. Natürlich dachte ich immer wieder darüber nach, wie ich das Problem lösen konnte, ohne Finn dabei in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Vorstellung, ihn zu blamieren, gefiel mir mit jedem Tag weniger. Dafür mochte ich ihn einfach zu sehr.
Ein paar der Mädels aus der Pausenclique luden mich sogar regelmäÃig zu sich nach Hause ein, wo wir tratschten oder die Schauspielerinnen ihre Texte aufsagen lieÃen, um ihnen kluge Ratschläge zu geben, wie sie es besser machen konnten. Mit Lisa und Denise verstand ich mich richtig gut, und auch die anderen waren mehr als nur okay, sodass ich mich nach einer Weile tatsächlich heimisch zu fühlen begann.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, als sie tatsächlich wissen wollten, wo ich meine Klamotten kaufte. Ich muss gestehen,
dass ich immer noch den Goth-Look trug - ich hatte inzwischen Gefallen daran gefunden - und lediglich auf schwarzen Lippenstift und toupierte Haare verzichtet. Richtig gruselig wurde es, als einige Mädels mit Klamotten in der Schule aufkreuzten, die meinen auffällig ähnlich waren. Manche trugen plötzlich Nietenarmbänder zu ihren gewohnten Jeans-Outfits, eine hatte sich ein schwarzes T-Shirt mit Totenkopfaufdruck angeschafft und plötzlich schien die eine oder andere ein wenig dunkler geschminkt als gewöhnlich. Als mir in der Pause ein Mädchen entgegenkam, auf dessen Shirt »Gruft-Charlotte« stand, fiel ich fast vom Glauben ab. Auch wenn ich mir vorgenommen hatte, das nie wieder zu tun, konnte ich in diesem Moment nicht anders und flüchtete mich ins Mädchenklo. Diesmal nicht, um mich zu verstecken, sondern weil ich schallend lachen musste. Ohne es zu wollen, war ich zu einer Art Trendsetter geworden.
Mitte November fand meine Zufriedenheit ein jähes Ende, als mich Lukas mitten in der Kostümprobe zur Seite zog. »Ich habe keine Lust mehr zu warten«, zischte er mir ins Ohr.
Seine Finger klammerten sich so fest um meinen Arm, dass es wehtat. Trotzdem gab ich mir Mühe, ihn das nicht merken zu lassen. Daran, wie ich Finn lächerlich machen konnte, hatte ich während der letzten Wochen keinen Gedanken verschwendet. Allerdings war mir auch nichts eingefallen, wie ich Lukas den iPod abnehmen konnte, ohne seine Forderungen zu erfüllen. Natürlich hatte ich ihn die ganze Zeit über im Auge. Sogar seinen Rucksack habe ich gefilzt, wenn er auf der Bühne stand, doch er war nicht dumm genug, den Player mit sich herumzuschleppen. Vermutlich lag er irgendwo bei ihm zu Hause, wo ich ihn niemals erreichen konnte, solange ich mich nicht als Fassadenkletterer
und Einbrecher betätigte - beides Dinge, für die ich etwa so viel Talent hatte wie zum Schauspielern.
Ich warf einen Blick zur Seite, ob uns jemand beobachtete, doch Lukas hatte mich so geschickt hinter den Vorhang gezogen, dass ich kaum etwas anderes als dunkelroten Stoff um mich herum sehen konnte. Zumindest wären wir für andere ebenfalls nicht zu erkennen. Ich hatte nämlich keine Lust, Finn oder Mehli zu erklären, was ich mit Lukas zu schaffen hatte. Die Wahrheit hätte ich ohnehin nicht sagen können.
Ich fühlte mich derart überfallen, dass ich gar nicht wusste, was ich sagen sollte. Eine gute Ausrede kam mir schon gar nicht in den Sinn. »Ich hatte noch keine vernünftige Idee«, versuchte ich es, nachdem ich meinen ersten Schreck überwunden hatte.
»Du hast Zeit bis zur Premierenaufführung«, sagte er und packte meinen Arm noch fester, bis ich aufschrie. »Das wird mein groÃer Abend und über Hausmann werden sie alle lachen! Wenn du bis dahin nichts erreicht hast, bekommst du von mir ein Tütchen Elektronikschrott zu Weihnachten!«
Die Premiere war Mitte Dezember, zwei Tage, bevor Sophie aus England zurückkam. Spätestens dann musste ich den iPod zurückhaben.
Ich wollte gerade etwas Bissiges, Schlagfertiges und zweifellos Brillantes erwidern,
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