My Story - Streng geheim - Traumtaenzer gesucht
sie, als wäre das ganz normal. »Hallo, Frau Wagner, alles okay so?«
»Mama, Ix braucht ein paar Unterlagen für das Referat, das wir zusammen halten sollen. Ich hol die eben schnell, ja?« Noch während ich rede, gehe ich los in Richtung der Garderoben und höre gerade noch, wie Mama interessiert fragt, um welches Referatsthema es sich eigentlich handelt.
Ich bin sicher, Ix wird etwas einfallen.
Ãber die Garderobenräume würde Ix sicher das Gleiche sagen wie über das Gebäude von auÃen: Sie sind abgefuckt, genauso wenig renoviert wie die Waschräume und Toiletten. Die groÃen, an den Ecken schon reichlich ramponierten, teilweise rostigen Spinde muffeln vor sich hin, die Spiegel haben blinde Flecken und der Boden ist hier sehr abgeschabt.
Mama und ich haben zwei Spinde nebeneinander, sie hat Nummer 69, ich habe die 70. Mama hasst es, den Spindschlüssel am Armband um das Handgelenk zu tragen. Sie legt ihn immer oben auf ihren Schrank.
Ich steige auf die viel zu laut knarzende Holzbank vor den Spinden, schnappe mir den Schlüssel und sperre ihren Schrank auf. Als ich hektisch Mamas groÃe alte schwarze Ledertasche herausziehe, spüre ich einen Anflug von schlechtem Gewissen. Ich versuche, ihn zu unterdrücken. SchlieÃlich mache ich ja nichts echt Schlimmes, oder? Ich meine, ich klaue ja kein Geld aus ihrem Geldbeutel oder so. Ich finde den dicken Schlüsselbund, verstaue die Ledertasche dann wieder im Schrank, sperre ab, lege den Spindschlüssel oben auf den Schrank und renne aus der Garderobe.
Es ist ja quasi nur ein Ausleihen, beruhige ich mich, niemand hat einen Schaden davon.
Ich bin schon fast auf dem Flur, als mir klar wird, dass ich erstens nicht mit ihrem Schlüssel in der Hand antanzen kann und es zweitens komisch aussehen wird, wenn ich keine Unterlagen für Ix dabeihabe. Ich renne also zurück, schlieÃe meinen Spind auf und überlege, was ich ihm in die Hand drücken könnte. Das wird schwierig, ich habe nur meine Trainingstasche dabei, die Schulsachen sind zu Hause. Jetzt trödel nicht so rum, Nele, ermahne ich mich. Denk nach! Du kannst ihm weder das Handtuch noch das Duschgel geben. Die Wäsche zum Wechseln kommt auch nicht infrage -
obwohl ich den Gedanken, Ix einen BH in die Hand zu drücken, ganz lustig finde. Natürlich nur in der Theorie, in der Praxis würde ich eher sterben.
Endlich habe ich eine Idee. Ich nehme die Plastiktüte, die eigentlich für die verschwitzten Trainingsklamotten gedacht ist, lege meine Wasserflasche hinein und hoffe, dass Mama nicht reinschauen will. Den Schlüssel wickle ich in ein Taschentuch, weil er so ein charakteristisches Klirren hat, das Mama sofort erkennen würde. Dann stürme ich hinaus zu den beiden.
Ich überreiche Ix die Tüte. »Wir trainieren bis neun. Bis dahin müsstest du mir alles fix und fertig zurückbringen, dann kann ichâs heute Abend noch durchgehen.« Ich starre ihn eindringlich an, damit er kapiert, was ich ihm damit sagen will. Der Schlüssel muss da sein, bevor Mama ihn zum Absperren braucht!
»Ist klar, gebongt!«
Er greift nach der Tüte und verschwindet mit einem gemurmelten »Tschüss dann«.
»Ich wusste gar nicht, dass ihr ein so interessantes Referatsthema habt«, meint Mama und schaut mich erstaunt an.
Oh Mann, Ix! Wie soll ich jetzt bloà aus der Nummer wieder rauskommen?
»Was meinst du damit genau?«, hake ich vorsichtig nach.
»Na diesen Zufallsgenerator!«
Was zur Hölle soll denn das sein? Hat das am Ende vielleicht was mit Mathe zu tun? »Ãh, ja. Gut, dass Ix ein Mathegenie ist«, entgegne ich vage. »Wollen wir jetzt anfangen mit dem Training?«
Mama mustert mich erstaunt und streift sich die Gummihandschuhe von den Händen, dann befreit sie ihre Haare vom Kopftuch.
»Das ist das erste Mal, dass du dein Training nicht erwarten kannst. Schätzchen, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das freut!« Sie lächelt ihr ganz groÃes Lächeln, das Lächeln, mit dem sie als Ivana Lake den triumphalen Beifall am Ende von »Schwanensee« in Empfang genommen hat, königlich und seltsam zart, scheu und gleichzeitig stolz, eben so wie nur Primaballerinas lächeln können.
»Wir arbeiten heute in Raum zwei.« Sie reicht mir die Handschuhe und das Kopftuch und geht schon vor, während ich mich in die Garderobe schleppe.
Seufzend schlüpfe
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