Myron Bolitar 03 - Der Insider
Parkplatz. Mario warf ihm die Schlüssel zu, ohne aufzublicken. Er nahm den Lincoln Tunnel und fädelte sich in die Route 3 ein. Er kam an einem riesigen und ziemlich bekannten Elektrogeräte-Großmarkt namens Tops vorbei. Auf dem Reklameschild sah man eine riesige Nase auf die Route 3 hinausragen. Text: »Tops liegt genau vor Ihrer Nase.« Sehr lebensecht. Es fehlten nur die riesigen Nasenhaare. Er war nur noch zwei Kilometer von der Meadowlands-Arena entfernt, als sein Handy klingelte.
»Ich habe ein paar vorläufige Ergebnisse«, sagte Win.
»Her damit.«
»In den letzten fünf Tagen wurde weder auf Greg Downings Konten zugegriffen noch irgendwelche Kreditkarten benutzt.«
»Gar nicht?«
»Gar nicht.«
»Barabhebungen bei der Bank?«
»In den letzten fünf Tagen nicht.«
»Und davor? Vielleicht hat er eine Menge Geld abgeräumt, bevor er verschwunden ist.«
»Ist in Arbeit. Das weiß ich noch nicht.«
Myron nahm die Meadowlands-Ausfahrt. Er überlegte, was das bedeuten könnte. Bisher war es noch nicht bedrohlich, aber gute Nachrichten sahen anders aus. Das Blut im Keller. Keine Spur von Greg. Keine Kontenbewegungen. Das sah nicht gut aus. »Sonst noch was?«, fragte er.
Win zögerte. »Wenn alles glatt geht, erfahre ich bald, wo der liebe Greg seinen Drink mit der hübschen Carla eingenommen hat.«
»Wo denn?«
»Nach dem Spiel«, sagte Win. »Dann weiß ich mehr.«
5
»Sport ist Folklore«, erklärte Clip Arnstein dem Raum voller Reporter. »Nicht nur das Gewinnen und Verlieren fesselt uns. Es sind die Geschichten, die der Sport schreibt. Geschichten über Durchhaltevermögen. Geschichten über schiere Willenskraft. Über harte Arbeit. Gebrochene Herzen. Wunder. Geschichten von Triumph und Tragödie. Geschichten von Comebacks.«
Clip sah vom Podium auf Myron hinab, die Augen ordnungsgemäß feucht, sein großväterlichstes Lächeln im Gesicht. Myron wand sich. Er kämpfte gegen den übermächtigen Drang, unter den Konferenztisch zu kriechen und sich zu verstecken.
Nach einer angemessenen Pause wandte Clip sich wieder zum Publikum. Die Reporter schwiegen. Hier und da zuckte ein Blitzlicht auf. Clip schluckte ein paar Mal, wie um die Entschlossenheit heraufzubeschwören, die er brauchte, um fortzufahren. Sein Kehlkopf hob und senkte sich. Er hob die feuchten Augen zum Publikum.
Ein bisschen dick aufgetragen, dachte Myron, aber alles in allem ein gelungener Auftritt.
Die Pressekonferenz war besser besucht als Myron erwartet hatte. Es gab keine Sitzplätze mehr, und viele Reporter standen. Musste ein nachrichtenarmer Tag gewesen sein. Clip nahm sich Zeit, um die scheinbar verlorene Fassung zurückzugewinnen. »Es ist jetzt etwas über zehn Jahre her, dass ich einen außergewöhnlichen jungen Mann gedraftet habe, einen Spieler, von dem ich glaubte, dass er das Zeug dazu hat, einer der ganz Großen zu werden. Er hatte einen tollen Sprungwurf, er konnte das Spiel lesen, er war mental stark, und darüber hinaus war er ein feiner Mensch. Aber die Götter hatten andere Pläne mit diesem jungen Mann. Wir wissen alle, was an jenem schicksalsschweren Abend in Landover, Maryland, mit Myron Bolitar geschah. Wir brauchen die Vergangenheit nicht wieder aufzuwühlen. Aber wie ich schon zu Beginn sagte: Sport ist Folklore. Heute geben die Dragons diesem jungen Mann eine Chance, seine eigene Legende mit dem dichten Teppich des Sports zu verweben. Heute geben die Dragons diesem jungen Mann die Möglichkeit, das zurückzuerobern, was ihm vor so vielen Jahren so grausam entrissen wurde.«
Myron rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er wurde rot. Sein Blick huschte unstet auf der Suche nach einem sicheren Versteck umher. Schließlich konzentrierte er sich auf Clips Gesicht, ganz wie die Medien es erwarteten. Er erspähte ein Muttermal und fixierte es so energisch, dass sein Blick gnädig verschwamm.
»Es wird nicht einfach werden, Myron«, sagte Clip und wandte sich dabei direkt an Myron. Myron hielt den Blick
weiter auf das Muttermal gerichtet, er konnte Clip nicht in die Augen sehen. »Wir haben Ihnen nichts versprochen. Ich weiß auch nicht, wie es weitergeht. Ich weiß nicht, ob das der Höhepunkt Ihrer Geschichte oder der Beginn eines neuen Kapitels ist. Aber alle, die den Sport lieben, müssen Ihnen einfach alles Gute wünschen. Das liegt in unserer Natur. Es liegt in der Natur aller wahren Kämpfer und Fans.« Clips Stimme brach.
»Das ist die Realität«, fuhr er fort. »Daran muss ich Sie erinnern,
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