Myron Bolitar 03 - Der Insider
die Schultern hoch und beugte sich so tief über das Getränk, als fürchtete er, jemand würde es ihm entreißen, während er trank.
Myron nahm die zerfledderte Plastik-Speisekarte aus dem Halter. Er öffnete sie, las sie aber nicht. Auf diversen in Plastikhüllen eingeschweißten Karteikarten wurden die verschiedenen »Spezialitäten« angeboten. Die Karten waren genauso verschlissen wie der Rest des Restaurants, trotzdem strahlte der Laden eine gewisse Gastlichkeit aus und war erstaunlich sauber. Der Tresen glänzte. Geräte wie die silberne Milchshake-Maschine und der Sodaspender glänzten ebenfalls. Die meisten Gäste lasen Zeitung, oder sie unterhielten sich, als wären sie hier zu Hause. Sie kannten den Vornamen der Kellnerin, was gewiss nicht daran lag, dass sie sich den Gästen vorgestellt und verkündet hatte, dass sie sie bedienen würde.
Hector, der Besitzer, stand am Grill. Es ging auf zwei Uhr zu. Obwohl sich das Mittagsgeschäft dem Ende zuneigte, war er noch ziemlich beschäftigt. Er rief ein paar Bestellungen auf Spanisch nach hinten in die Küche, ohne den Grill dabei aus den Augen zu lassen. Dann drehte er sich mit einem höflichen Lächeln um, wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und fragte Myron, ob er ihm helfen könne. Myron erkundigte sich, ob er ein Münztelefon habe.
»Nein, Sir, tut mir leid«, antwortete Hector. Myron hörte zwar einen leichten spanischen Akzent, aber offensichtlich arbeitete Hector an seiner Aussprache. »Draußen an der Straßenecke ist eins. Auf der linken Seite.«
Myron sah sich die Nummer an, die Lisa ihm gegeben hatte. Er las sie laut vor. Hector war mit mehreren Dingen zugleich beschäftigt. Er drehte die Burger um, klappte ein Omelette zusammen und sah nach den Pommes Frites. Dabei behielt er trotzdem alles im Auge - die Kasse, die Kunden am Tresen und an den Tischen und die Küche zu seiner Linken.
»Ach das«, sagte Hector. »Das steht hinten. In der Küche.«
»In der Küche?«
»Ja, Sir.« Immer noch höflich.
»Sie haben ein Münztelefon in der Küche?«
»Ja, Sir«, sagte Hector. Er war ziemlich klein und schmal unter der weißen Schürze und der schwarzen Polyesterhose. Seine Nase war offenbar mehrmals gebrochen gewesen. Seine Unterarme sahen aus wie Stahldrähte. »Für die Angestellten.«
»Haben Sie keins für die Geschäftsgespräche?«
»Natürlich haben wir eins.« Seine Stimme wurde etwas schärfer, als wäre die Frage eine Beleidigung. »Viele Gäste lassen sich Essen von uns liefern, oder sie rufen an und holen sich das ab. Wir kriegen viele Bestellungen. Wir haben auch ein Faxgerät. Und deshalb dürfen die Mitarbeiter nicht dauernd die Leitungen belegen, verstehen Sie? Wenn man anruft, und es ist besetzt, ruft man einfach woanders an, stimmt's? Dann verdient ein anderer das Geld. Also hab ich hinten ein Münztelefon installiert.«
»Verstehe.« Myron stutzte. »Wollen Sie damit sagen, dass Gäste es nie benutzen?«
»Nun ja, Sir, wenn ein Gast darauf besteht, würde ich es ihm natürlich nicht verwehren.« Die ruhige Höflichkeit des klugen Geschäftsmanns. »Im Parkview ist der Kunde König. Immer.«
»Hat je ein Gast darauf bestanden?«
»Nein, Sir. Ich glaube auch nicht, dass die Gäste etwas von diesem Telefon wissen.«
»Können Sie mir sagen, wer dieses Telefon am letzten Samstag um einundzwanzig Uhr achtzehn benutzt hat?«
Bei dieser Frage wurde er hellhörig. »Bitte?« Myron wollte seine Frage wiederholen, aber Hector unterbrach ihn. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Mein Name ist Bernie Worley«, sagte Myron. »Ich bin Produktsupervisionsagent für AT&T.« Produkt- was? »Hier versucht uns jemand zu betrügen, Sir, und wie Sie sich denken können, gefällt uns das absolut nicht.«
»Sie betrügen?«
»Ein Y511.«
»Ein was?«
»Ein Y511«, wiederholte Myron. Wenn man erst einmal angefangen hatte, jemandem einen Bären aufzubinden, musste man ihn auch richtig festzurren. »Das ist ein elektronisches Kontrollgerät aus Hongkong. Neuerdings wird es auch hier unter der Hand verkauft, aber wir versuchen, das zu unterbinden. Und so ein Y511 hat jemand am achtzehnten März dieses Jahres um einundzwanzig Uhr achtzehn an Ihrem Münzfernsprecher benutzt. Es wurde eine Nummer in Kuala Lumpur gewählt und ein beinahe zwölfminütiges Gespräch geführt. Der Anruf kostet dreiundzwanzig Dollar und zweiundachtzig Cents, aber die Strafe für die Benutzung eines Y511 liegt zwischen siebenhundert Dollar und einer
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