Myron Bolitar 03 - Der Insider
man das irgendwie ab. Leider war es in Myrons Generation nicht üblich, diese Bewunderung erkennen zu lassen. Seine Generation war gestaltlos geblieben - eingeklemmt zwischen der Beat Generation von Woodstock und der Generation X von MTV, noch zu jung, als Die besten jähre die Fernsehschirme regierte und inzwischen zu alt für Beverly Hills 90210 und Melrose Place. In erster Linie fühlte Myron sich als Angehöriger der Generation Lamento, deren Leben sich aus einer Abfolge von Schuldzuweisungen und Gegendarstellungen zusammensetzte. So wie die überehrgeizigen Väter ihren Söhnen alles aufbürdeten, drehten die Söhne den Spieß um und gaben ihren Vätern die Schuld an ihrem zukünftigen Versagen. Seine Generation hatte gelernt, zurückzublicken und präzise jene Momente zu benennen, in denen ihre Eltern ihnen das Leben ruiniert hatten. Myron beteiligte sich nicht daran. Wenn er zurückblickte und die früheren Taten seiner Eltern erforschte, dann nur, um ihr Geheimnis zu durchschauen, bevor er selbst Kinder in die Welt setzte.
»Mir ist schon klar, wie das da heute ausgesehen hat«, sagte er, »aber mir geht's wirklich gar nicht schlecht.«
Mom schniefte. »Das wissen wir.« Ihre Augen waren rot. Sie schniefte noch einmal.
»Du weinst doch nicht wegen ...«
Sie schüttelte den Kopf. »Du bist erwachsen geworden. Das weiß ich. Aber als du vorhin so aufs Spielfeld gelaufen bist, zum ersten Mal seit so langer Zeit...«
Ihre Stimme erstarb. Dad sah weg. Sie waren alle drei gleich. Nostalgie zog sie an wie Paparazzi die Starlets.
Myron wartete, bis er sicher war, dass seine Stimme nicht mehr zitterte. »Jessica will mit mir zusammenziehen«, sagte er.
Er rechnete mit Protest, zumindest von seiner Mutter. Mom hatte Jessica nicht vergeben, dass sie ihn damals verlassen hatte; Myron konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie ihr je vergeben würde. Dad, das war so seine Art, verhielt sich wie ein guter Reporter - neutral, aber man fragte sich, welche Meinung er sich hinter diesen ausgewogenen Fragen bildete.
Mom sah Dad an. Dad erwiderte ihren Blick und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Dann sagte Mom: »Du kannst jederzeit wieder zurückkommen.«
Myron hätte sie beinahe um nähere Erläuterung gebeten, verkniff sich das aber und nickte nur. Sie versammelten sich um den Küchentisch und unterhielten sich. Myron machte sich ein überbackenes Käse-Sandwich. Das machte Mom nicht für ihn. Sie glaubte, dass man Hunde domestizieren konnte, Menschen nicht. Also kochte sie überhaupt nicht mehr. Myron fasste das als gutes Zeichen auf. Ihre Bemutterung beschränkte sich auf das rein Verbale, und das war auch besser so.
Sie erzählten von ihrer Reise. Er erläuterte kurz und sehr vage, warum er wieder Profi-Basketball spielte. Eine Stunde später ging er hinunter in den Keller, in dem er seit seinem sechzehnten Lebensjahr wohnte - seit seine Schwester auf die Universität gegangen war. Der Keller war in zwei Räume unterteilt - ein Wohnzimmer, das er fast nie benutzte, außer, wenn er Besuch hatte, und das daher sauber blieb, und ein Schlafzimmer, das dem eines Teenagers glich. Er kroch ins Bett und betrachtete die Poster an der Wand. Die meisten hingen seit seiner Jugend dort, die Farben waren verblasst, und die Ecken um die Reißnägel ausgefranst.
Myron hatte die Celtics immer verehrt - sein Vater war in der Nähe von Boston aufgewachsen -, und seine zwei Lieblingsposter zeigten John Havlicek, den Celtics-Star der sechziger und siebziger Jahre, und Larry Bird, den Star der Achtziger. Sein Blick wanderte von Havlicek zu Bird. Das nächste Poster an der Wand hätte Myron zeigen sollen. Das war sein Kindheitstraum gewesen. Als die Celtics ihn gedraftet hatten, war er nur wenig überrascht gewesen. Eine höhere Macht war am Werk. Es war sein Schicksal, dass er die nächste Celtics-Legende werden sollte.
Dann war er mit Burt Wesson zusammengeprallt.
Myron legte die Hände hinter den Kopf. Seine Augen gewöhnten sich an das Licht. Als das Telefon klingelte, griff er abwesend danach.
»Wir haben das, was Sie suchen«, sagte eine elektronisch verzerrte Stimme.
»Was?«
»Das Gleiche, was Downing kaufen wollte. Es kostet fünfzigtausend Dollar. Treiben Sie das Geld auf. Morgen Abend bekommen Sie weitere telefonische Anweisungen.«
Der Anrufer legte auf. Myron versuchte zurückzurufen, indem er Stern-sechs-neun drückte, aber der Anruf war von außerhalb des Ortsnetzes gekommen. Er ließ den Kopf wieder aufs
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