MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
und ich können sehr wohl verstehen, dass du ziemlich verwirrt sein musst. Deswegen hast du auch große Angst.« Sie sah ihn eindringlich an. »Habe ich nicht recht, Niko?«
Der Junge schluckte und erwiderte wortlos ihren Blick. Dann nickte er. »Ja«, flüsterte er.
»Ich weiß«, antwortete die Elfe. »Und das ist auch gut so. Du darfst nur nicht zulassen, dass deine Angst größer wird als du selbst. Du darfst nicht vor ihr zurückschrecken, sondern musst ihr fest ins Auge sehen, dann wirst du sie auch besiegen können.«
»Aber...« Niko wandte den Blick zu Boden. »Wenn ich wirklich dieses Schwert finden soll - wie soll ich das nur schaffen? Diese Aufgabe ist so groß und gefährlich, dass kein Mensch allei -«
»Psssst!«, zischte ihm die das geflügelte Geschöpf zu und legte den Zeigefingern vor den winzigen Mund. »Du wirst nur erfolgreich sein, wenn du nicht länger zweifelst und endlich an dich selbst glaubst. Dann kann dir alles gelingen.« Als die Elfe Nikos skeptischen Blick bemerkte, fügte sie rasch hinzu: »Und du bist doch nicht alleine und wirst auf viele Helfer zählen können. Auch wir werden dich bei deiner Aufgabe unterstützen. Deshalb hat die Hüterin des Horts mir auch ein Geschenk für dich mitgegeben.«
Niko schwirrte der Kopf. Seine Gedanken kreisten darin herum wie außer Rand und Band geratene Achterbahnwagen. Welche Helfer meinte dieses Flatterding bloß? Und wer war diese Hüterin des Horts?
»Streck deine rechte Hand aus!«, befahl die Lichtelfe energisch.
Niko fügte sich ohne Zögern.
Das geflügelte Wesen deutete mit dem Zeigefinger auf seine Hand, schloss die Augen und murmelte einen Spruch.
Beim nächsten Herzschlag spürte Niko ein Zucken im Ringfinger, der mit einem Mal so gleißend hell aufleuchtete, dass er die Augen schließen musste. Als er sie wieder öffnete, glaubte er zu träumen: An seinem Finger glänzte nämlich ein Ring, der, seiner Farbe und dem Gewicht nach zu urteilen, aus purem Gold bestehen musste.
Die Elfe tat, als würde sie seine Verwunderung nicht bemerken. »Diesen Ring hat einst dein Vater getragen, als Zeichen seiner großen Liebe zu deiner Mutter. Er wird dir behilflich sein - bei der Suche nach Sinkkâlion und nach deinem Vater.«
»Was?« Niko wurde vor Überraschung und Aufregung laut. »Ich kann meinen Vater finden?«
»Natürlich«, antworte die Elfe pikiert. »Meinst du, ich scherze hier nur rum, oder was?«
»Nein, das nicht... Aber... du hast ja keine Ah -«
»Wirst du wohl endlich still sein!« Jetzt schien sie wirklich zornig zu werden. »Lass mich gefälligst ausreden!«
Niko zog erschrocken den Kopf ein. »Schon gut«, murmelte er.
Zum Glück beruhigte sich die Elfe schnell wieder. »Ja, du kannst deinen Vater finden«, erklärte sie in ruhigerem Ton. »Aber erst, nachdem du das Schwert gefunden hast - eher nicht. Beide sind untrennbar miteinander verbunden wie die zwei unterschiedlichen Seiten einer Münze. Und deshalb wirst du das eine ohne das andere niemals erreichen können.« Die Elfe schwebte näher heran und sah ihn beschwörend an. »Deshalb darfst du nicht länger zögern, Niko. Dir bleibt nur wenig Zeit. Wenn der Feuermond seine Bahn vollendet hat und du deine Aufgabe immer noch nicht erfüllt hast, wird es zu spät sein. Danach wirst du weder das Schwert noch deinen Vater jemals mehr finden können. Hast du das verstanden, Niko?
»Oh.« Niko kniff die Augen zusammen. »Hast du... Feuermond gesagt?«
»Natürlich! Was denn sonst?« Das geflügelte Wesen schüttelte unwirsch die blonden Locken. »Und jetzt schließe die Augen«, befahl es und murmelte einen seltsamen Spruch: »Dem großen Auftrag mit aller Kraft, ich dien ihm mit Herz und mit Willen. Die Not ich seh, den Weg ich geh, mein Schicksal will ich erfüllen.«
Während die letzten Worte wie ein Flüstern im Wind verhallten, klappten Nikos Lider zu. Er fühlte noch eine winzige Hand auf seiner Stirn, hörte das Raunen einer silbrigen Stimme und wurde dann von grenzenloser Müdigkeit übermannt.
Kraftlos sank Niko auf dem kleinen Steg nieder und fiel in einen tiefen Schlaf.
Der Vharuul blieb stehen und sog witternd die Nachtluft durch seine Nasenlöcher, die wie riesige Krater in seinem dunklen knochigen Gesicht aufragten. Ein zufriedenes Grunzen kam aus seiner Kehle.
Blut!
Es war der vertraute Geruch warmen Blutes, der in seine empfindliche Nase strömte.
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