MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
Und die Alwen, in deren Adern es pulste, konnten nicht weit von ihm entfernt sein.
Ein glucksendes Geräusch löste sich aus dem lippenlosen Maul des unheimlichen Geschöpfes. Kein Sternenfunkeln und kein Strahl des sanften Nachtmonds drang durch das dichte Blätterdach des Waldes und so war es zwischen den Stämmen der Bäume so finster wie in der schwärzesten Kohlengrube. Den Vharuul störte das nicht im Geringsten. Er war ein Geschöpf der Nacht und sein Blick konnte die tiefste Schwärze mühelos durchdringen. Selbst wenn er die Augen geschlossen hätte - was ihm nicht möglich war, weil er weder Lippen noch Lider hatte -, wäre seine Nase ein sicherer Wegweiser durch jedes noch so verwirrende Baumlabyrinth gewesen.
Der Vharuul richtete sich auf. Mit Ausnahme seines Gesichts war fast sein gesamter Körper mit zotteligen schwarzen Haaren bedeckt. Er ging aufrecht wie ein Mensch und war lediglich mit einem Lendenschurz aus schwarzem Leder bekleidet. Erneut streckte er witternd seine Nasenlöcher vor. Dann setzte er sich in Bewegung und federte mit überraschend flinken kräftigen Schritten auf den Waldrand zu, den er schon wenig später erreichte.
Das Dorf der Alwen lag etwas tiefer, als der Vharuul jetzt stand, und war noch ein gutes Stück entfernt. Der Himmel hatte sich inzwischen mit dichten Wolken bezogen, die sich wie die Vorboten eines drohenden Unwetters über den Hütten ballten. Ihre Konturen waren im Nachtdunkel kaum auszumachen. Dennoch hatte der Vharuul nicht die geringste Mühe, sie zu sehen. Auch die Anzahl der Dorfbewohner konnte er ausmachen - am Duft ihres Blutes nämlich, das ihm nun noch intensiver in die Nase strömte. Selbst aus so großer Entfernung konnte er das Blut eines Mannes von dem einer Frau unterscheiden, ebenso wie das eines Knaben von dem eines Mädchens.
Ein Zittern lief durch den gewaltigen Körper des Vharuuls, und wie von selbst fuhr er die scharfen Krallen aus, die in die Spitzen seiner vier Klauenfinger eingebettet waren. Er versuchte, sich zu konzentrieren - auf seinen Auftrag, auf den einen, den er aufspüren musste. Er durfte sich nicht verwirren lassen von seiner Gier, von der Versuchung, so groß sie auch sein mochte. Sonst würde er die Alwen warnen und das gesamte Unternehmen gefährden - und sich selbst um seinen heiß ersehnten Lohn bringen.
Ein letztes Mal noch ließ der Vharuul seine kohlschwarzen Augen über die Hütten und das Dorf schweifen und prägte sich alles ganz genau ein. Dann machte er kehrt und huschte lautlos davon, um Herzog Dhrago und Hauptmann Grymm Bericht zu erstatten.
»Niko? Wach auf, Niko!« Die Worte drangen wie durch Watte an sein Ohr. Verwirrt öffnete Niko die Augen und richtete sich auf. Und da erst bemerkte er, dass er sich immer noch auf dem kleinen Steg am See befand.
Ayani kniete direkt vor ihm und rüttelte an seinen Schultern. »Endlich«, sagte sie erleichtert. »Ich habe schon gedacht, du kämst gar nicht mehr zu dir. Was machst du hier?«
»Ich... ich weiß auch nicht«, murmelte er, erhob sich und streckte die klammen Glieder aus. »Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen bin.« Gähnend blickte Niko zum Himmel, wo die ersten Strahlen des Großen Taglichts gerade das letzte Grau der Morgendämmerung vertrieben. »Das war ganz schön unbequem«, sagte er mit verlegenem Grinsen. »Kein Wunder, dass ich so einen merkwürdigen Traum hatte.«
»Merkwürdig?« Ayani musterte ihn neugierig. »Was war daran merkwürdig?«
»Einfach alles!«, erwiderte Niko. »Ich habe geträumt, dass mir eine Lichtelfe erschienen ist und mit mir geredet hat. Am Schluss hat sie mir einen Ring an den Finger gezaubert. Kannst du dir so etwas Bescheuertes vorstellen?«
»Wieso denn nicht?«, sagte Ayani mit bedeutungsvollem Blick auf seine Hand. »Ich habe mich nämlich schon die ganze Zeit gefragt, warum du plötzlich einen Ring trägst.«
»Was?«, stieß Niko aus und starrte fassungslos auf seine rechte Hand, an der tatsächlich ein Ring steckte. Ein goldener Ring, den ein deutlich sichtbares Zeichen zierte: die Dagaz-Rune.
Oder das Zeichen heldenhaften Mutes, wie die Alwen es nannten.
»Sieh nur.« Mit ernster Miene hielt Ayani ihm ihren Anhänger entgegen. »Beide Schmuckstücke sehen so aus, als hätten die gleichen Hände sie geschaffen.«
Niko hob seine Hand und hielt seinen Ring neben den Anhänger. Ayani hatte recht: Sowohl das edle Metall - Gold vermutlich -
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