MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
Wiese noch fast taghell gewesen war, hatte sich zwischen den dicht stehenden Bäumen des Wäldchens bereits die Dämmerung eingenistet. Schatten ballten sich im Unterholz und in den Weiden- und Haselbüschen, die wie wild zwischen den Stämmen wucherten. Niko hatte den Hain schon fast durchquert, als ihm auffiel, dass etwas nicht stimmte: Es war totenstill. Kein Laut, nicht einmal das leiseste Rascheln und Knacken war zu hören. Überrascht blieb Niko stehen und schaute sich nach allen Seiten um. Wo waren all die vielen Vögel geblieben, die in früheren Jahren in dem kleinen Bruchwald genistet und gebrütet hatten? Waren sie inzwischen alle verschwunden? Oder waren sie nur verstummt, weil sie irgendetwas ängstigte? Und warum bewegten sich selbst die Blätter an den Bäumen und Büschen nicht das kleinste bisschen? Wie erstarrt hingen sie von den Zweigen und Ästen.
Irgendetwas lag in der Luft, das fühlte Niko ganz genau! Fragte sich nur, was?
Er kniff die Augen zusammen und spähte nach allen Seiten. Doch sosehr er auch die trüben Schleier des Zwielichts zu durchdringen versuchte, die sich wie Schattengespenster in der Tiefe des Wäldchens zusammenzogen, er konnte nichts Verdächtiges entdecken.
Mit angehaltenem Atem ging Niko weiter und folgte dem schmalen Pfad, der sich zwischen den Baumstämmen hindurchschlängelte. Der Boden war feucht und morastig, sodass seine Schuhe schmatzende Geräusche verursachten, wenn sie in ein Schlammloch traten. Der Geruch von Sumpf und Moder stieg ihm in die Nase. Obwohl das Wäldchen nur ein schmaler Streifen war, kam ihm der Weg fast endlos vor. Als endlich wieder helles Tageslicht zwischen den Bäumen aufschimmerte, atmete er erleichtert auf.
Am Waldrand blieb Niko stehen und spähte zu dem alten Anwesen hinüber, das sich gut fünfzig Meter entfernt von ihm erhob. Obwohl es im warmen Licht der Abendsonne lag, wirkte es auf eine seltsame Weise düster, ja fast schon unheimlich. Aber vielleicht lag das auch nur an dem heruntergekommenen Zustand der alten Gebäude? Das ehemalige Gut war längst nicht so makellos erhalten wie der Hof seines Opas. Der Putz wies zahllose hässliche Flecken auf, ein Teil der altersgrauen Dachziegel war gesprungen, der Rest von Moos und Flechten überwuchert. Die Nebengebäude, Scheune und Stallungen, waren fast schon verwahrlost und sahen aus, als könnten sie jeden Moment zusammenstürzen. Ohne es zu merken, schüttelte Niko den Kopf. Wie konnten Jessies Eltern sich nur diese Bruchbude andrehen lassen?, überlegte er. Die mussten doch gesehen haben, wie marode die war! Aber was sollte es: Hauptsache, ihr Telefon funktionierte!
Niko wollte schon weitergehen, als sich wie aus dem Nichts eine Hand auf seine Schulter senkte. Mit einem lauten Aufschrei wirbelte er herum und starrte mit vor Schreck geweiteten Augen auf die dunkle Gestalt, die wie ein düsteres Menetekel vor ihm stand.
W ie im Fieber blätterte Sâga durch das dicke Buch, das auf dem Tisch vor ihr lag. Der Schein des Feuers und der Fackeln zog rote, unstete Striemen über ihr totenbleiches Gesicht, während sie mit schnell zuckenden Augen Seite für Seite überflog. Plötzlich stieß sie einen spitzen Schrei aus und sprang so heftig vom Schemel, dass er polternd umstürzte. Fassungslos starrte die Frau auf den Text, der mitten im Absatz urplötzlich abbrach. Als Sâga hastig weiterblätterte, erkannte sie, dass auch alle folgenden Seiten unbeschrieben waren. Nicht ein Zeichen und nicht ein Buchstabe waren mehr darauf zu sehen.
»Odhur!«, schrie sie auf wie ein gequältes Tier. »Was habe ich dir getan, Odhur?«
Ruckartig klappte sie den Folianten zu, warf ihn zornig auf den Tisch und starrte dann düster vor sich hin. Ihre Pupillen glichen rotgelben Schlitzen - ähnlich den Pupillen einer Schlange - und mit einem Mal wirbelte Sâga wieder herum, stieß die dünnen Arme nach vorne und deutete mit ihren Krallenfingern auf zwei Fackeln an der Wand. Augenblicklich erloschen dort die Flammen. Die Arme immer noch ausgestreckt, drehte sich Sâga rasch um die eigene Achse - worauf eine Fackel nach der anderen erlosch, bis nur noch die Flammen des Holzfeuers die Höhle in spärliches Licht tauchten. Nach einem kurzen Lächeln des Triumphs wiederholte Sâga ihre Übung, diesmal jedoch in entgegengesetzter Richtung - und wie von Geisterhand entflammt, loderten sämtliche Fackeln wieder auf.
»Na, also.« Mit einem Seufzer der
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