MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
traf seine Gemahlin Eleonor mit ihrem Gefolge - bis auf zwei Jagdaufseher allesamt Frauen - völlig unvermutet auf König Nelwyn. Der nivländische König beschuldigte sie, sich widerrechtlich auf seinem Herrschaftsgebiet zu befinden, und bezichtigte sie der Wilddieberei. Als Eleonor diesen dreisten Vorwurf entrüstet von sich wies, zog Nelwyn sein Schwert, griff die friedliche Jagdgesellschaft ohne Vorwarnung an und metzelte alle nieder. Die ruchlose Schandtat wäre mit Sicherheit niemals bekannt geworden, wenn einer der Jagdaufseher nicht die Geistesgegenwart besessen hätte, sich tot zu stellen. Auf diese Weise überlebte er als Einziger das blutige Gemetzel und konnte so seinem Herrscher Zeugnis davon ablegen.
Außer sich vor Wut und Trauer schwor Rhogarr von Khelm am Grabe seiner Frau, den feigen Meuchler für seine Schandtat zur Rechenschaft zu ziehen und nicht eher zu ruhen, bis Eleonors Tod gerächt sei. Bereits am anderen Tage wollte er dem Nivland den offenen Krieg erklären.
Sâga jedoch riet ihm dringend davon ab. Sie machte Rhogarr eindringlich klar, dass Nelwyn die Untat ohnehin abstreiten und den einzigen Zeugen nur der Lüge bezichtigen würde. Und da ihm in ganz Mysteria der Ruf eines tadellosen und vorbildlichen Edelmannes vorauseilte, würde man ihm mit Sicherheit Glauben schenken. Zudem würde eine offene Kriegserklärung Nelwyn nur vorzeitig warnen und ihm damit ausreichend Zeit verschaffen, sich gegen den bevorstehenden Angriff zu wappnen. Da die Mauern von Helmenkroon sich über die Jahrhunderte als unbezwingbar erwiesen hatten, wäre nach Sâgas fester Überzeugung auch Rhogarrs Attacke zum Scheitern verurteilt. Stattdessen machte sie ihm die Vorzüge ihres eigenen Planes noch einmal eindringlich deutlich und konnte ihn schließlich umstimmen. Bereits am nächsten Tag wurde alles Nötige in Gang gesetzt, und die Ereignisse kamen ins Rollen, die Rhogarr von Khelm schließlich auf den Thron von Helmenkroon brachten.
Bei dem Gedanken rang sich ein tiefer Seufzer aus der Kehle des Burgherrn. Auch wenn Sâgas Plan ihm tatsächlich den Sieg über das Nivland eingetragen hatte, war er nicht gänzlich aufgegangen. Schließlich hatte er nicht nur darauf abgezielt, Nelwyn zu stürzen. Vielmehr wollte Rhogarr sich gleichzeitig auch in den Besitz von Sinkkâlion bringen - und genau das war ihm nicht gelungen.
Wieder seufzte Rhogarr, denn noch einmal stiegen die Ereignisse jener schicksalhaften Nacht vor seinem inneren Auge auf. In all der langen Zeit, die seitdem vergangen war, hatte er noch niemandem anvertraut, was sich damals wirklich zugetragen hatte. Außer Herzog Dhrago, der an seiner Seite gewesen war, und ihm selbst wusste niemand, was sich in jener Nacht in den Mauern von Helmenkroon ereignet hatte. Und genauso sollte es auch bleiben. Solange die Alwen der Überzeugung waren, er hätte ihren geliebten Nelwyn getötet und seine sterbliche Hülle zusammen mit dem Leichnam von Königin Nimhuld den Flammen übergeben, solange würden sie ihn fürchten und waren deshalb viel einfacher im Griff zu behalten. Aus diesem Grunde hatte Rhogarr Dhrago auch zu strengstem Stillschweigen verpflichtet. Und falls der Herzog seinen Schwur brechen sollte - sei es mit Bedacht oder auch ohne Absicht -, würde er ihn höchstpersönlich dafür zur Rechenschaft ziehen.
Dabei bereitete der Herzog ihm noch die geringsten Sorgen, auch wenn Dhrago ebenso feige wie durchtrieben war. König Mordur war da schon ein anderer Fall... Überraschenderweise hatte Mordur damals bei Rhogarrs Machtübernahme keine größeren Probleme gemacht. Auf Sâgas Rat hin hatte Rhogarr den Herrscher des Grimmen Reiches nämlich in seine Pläne eingeweiht und ihm als Lohn für sein Stillhalten das Königsschwert versprochen. Mordur ließ sich dann tatsächlich auch vertrösten. Allerdings nur für den Preis gewaltiger Tributzahlungen - die er jedoch wohl ohnehin gefordert hätte. Dass er nun so eindringlich das Schwert forderte, war zwar bedrohlich, stellte aber vielleicht kein unüberwindbares Hindernis dar. Möglicherweise handelte es sich ja nur um eine vorübergehende Laune des Grimmen Herrschers, der für seinen unsteten Charakter bekannt und gleichermaßen gefürchtet war. Und falls nicht, würde sich mit Sicherheit auch eine Lösung finden. Schließlich deuteten alle Anzeichen darauf hin, dass das Tor des Feuers sich bald öffnen und den Weg zu Sinkkâlion endlich freigeben würde.
Nein, Rhogarrs schwerste
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